Der Journalismus ist im postfaktischen Zeitalter angekommen, er taugt nicht mehr als Informationsquelle, wohl aber als Mittel zur Mobilisierung und Monetarisierung von Ressentiments. Personalisieren, skandalisieren, denunzieren – das ersetzt Recherche und bedient die niedersten Instinkte der Nutzer. Wir sind angekommen in der Öffentlichkeit bedingter Reflexe, in der Ressentiments zu Geld gemacht werden. (…)
Wie kann man als kritischer Journalist diese Herausforderungen bewältigen? Es scheint ja immer eine Art „Grenzgang“ zu sein: sich einerseits „einzulassen“ und dann aber andererseits eben doch genügend Distanz zu halten und der Öffentlichkeit Informationen zu präsentieren, die die jeweilige Seite nicht präsentiert sehen möchte.
Das habe ich gerade beschrieben. Sie reden mit beiden Seiten, lassen sich mit beiden Seiten ein und verstehen als Erstes einmal, das unsere Lebenserfahrungen unseren Blick auf die Welt prägen und deshalb Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen die Welt verschieden deuten. Ich kenne das aus dem deutsch-französischen Grenzraum, wo ich herkomme. Wenn beide Seiten Tote in der Familie haben, dann wird es mehrere Generationen dauern, bis man sich wieder über den Weg traut. Erst die übernächste oder die dritte Generation danach kommt mit den Traumata zurecht. Es hat keinen Sinn, Menschen mit traumatischen Erfahrungen mit Besserwisserei oder politischer Parteinahme, schon gar nicht mit identitärem Geschwafel zu kommen. Sie müssen akzeptieren, dass dieser Krieg auch dazu führt, dass man hüben und drüben in unterschiedlichen Welten lebt. Denn man neigt dazu, nur die eigenen Toten zu sehen.