Archiv: Notstandsgesetze (Grundgesetzänderungen Westdeutschland 1968)


22.08.2023 - 17:03 [ Bundesverfassungsgericht.de ]

BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 -, Rn. 1-306,

Soweit die Beschwerdeführenden in den Verfahren 1 BvR 781/21 und 1 BvR 854/21 sich durch die Ausgangsbeschränkung nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG in ihrem Recht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG verletzt sahen, genügt der bloße Vortrag, sich nachts nicht mehr frei im Bundesgebiet bewegen zu dürfen oder dass ein Eingriff in die Freizügigkeit „auf der Hand“ liege, den Begründungsanforderungen nicht. Insbesondere zeigen sie nicht anhand der verfassungsrechtlichen Maßstäbe (vgl. dazu BVerfGE 134, 242 <323 ff. Rn. 251 ff.>) auf, inwieweit die Freizügigkeit durch die angegriffene Maßnahme verletzt sein soll. Ebenso wenig genügt der pauschale Vortrag des Beschwerdeführers im Verfahren 1 BvR 854/21, eine Verletzung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) durch die Ausgangsbeschränkungen liege „auf der Hand“. Auch der Beschwerdeführer zu 3) im Verfahren 1 BvR 805/21 zeigt, soweit es ihm um die Möglichkeit des Fotografierens bei Dämmerung und Dunkelheit geht, eine mögliche Verletzung der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) durch § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG nicht substantiiert auf.

Im Verfahren 1 BvR 798/21 genügt die Verfassungsbeschwerde den Darlegungsanforderungen nicht, soweit eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) und der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) des Beschwerdeführers gerügt wird. Der Beschwerdeführer zeigt nicht auf, dass der täglich verbleibende Zeitraum von 19 Stunden für sportliche Betätigung im Freien nicht ausreicht, um diesen für die gesundheitsförderlichen Effekte des Sports zu nutzen.

(…)

aa) Der eine Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit „durch Gesetz“ nicht enthaltende Wortlaut der Schrankenregelungen in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 und Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG könnte nahelegen, dass dem parlamentarischen Gesetzgeber Eingriffe in dieses Freiheitsrecht unmittelbar durch Gesetz nicht zugänglich sind. Zwingend ist dieses Verständnis des Wortlauts aber nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat der weitgehend gleichlautenden Schrankenausgestaltung in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG keine solche Bedeutung zugemessen und einen Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG unmittelbar durch Gesetz für damit vereinbar gehalten (vgl. BVerfGE 125, 260 <313>).

Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich kein klares Bild zu der Frage, ob aus der allein Eingriffe „aufgrund eines Gesetzes“ gestattenden Schrankenregelung ein Verwaltungsvorbehalt folgt (vgl. Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 199). Bei Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Grundrechtsschranken im Parlamentarischen Rat kann dem Wortlaut der entsprechenden Schrankenausgestaltung ebenfalls kein starkes Gewicht zukommen. Es fehlte an einem System der verschiedenen Schrankenregelungen in dem Sinne, dass Gehalt und Wirkungen des Verfassungstextes bei gleicher sprachlicher Fassung jeweils gleich zu verstehen wären und umgekehrt (vgl. Hermes, in: Merten/Papier, HGRe, Bd. III, 2009, § 63 Rn. 3). Erwägungen des Redaktionsausschusses des Parlamentarischen Rates zur Schrankengestaltung, man bevorzuge die Formulierung „auf Grund eines Gesetzes“, weil bei der Wendung „durch Gesetz“ Beschränkungen nur durch ein Gesetz angeordnet werden könnten und eine gesetzliche Ermächtigung einer Behörde ausgeschlossen sei (Deutscher Bundestag und Bundesarchiv , Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Band 7 – Entwürfe zum Grundgesetz, 1995, S. 211 f.), lassen sich vielmehr dahin verstehen, dass bei der Formulierung „auf Grund eines Gesetzes“ der gesetzesunmittelbare wie auch der durch die Verwaltung vermittelte Eingriff als möglich erachtet wurde, aber nicht umgekehrt die Legislative von der unmittelbaren Regelung ausgeschlossen sein sollte.

(…)

Die prozeduralen und materiellen Sicherungen des Art. 104 Abs. 1 GG sind in den Fällen erforderlich, in denen die staatliche Gewalt unmittelbaren körperlichen Zugriff auf eine Person hat. Da nunmehr aber auch gesetzliche Maßnahmen, die für sich genommen niemals körperliche Zwangswirkung zu entfalten vermögen, als Eingriffe gelten können, wenn von ihnen dem körperlichen Zwang ähnliche Wirkungen ausgehen (oben Rn. 246), hat dies Konsequenzen für das Verständnis des Schrankenvorbehalts. Nichts spricht dafür, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 104 Abs. 1 GG nach ihrem Zweck gegenüber dem Gesetzgeber ein absolutes, uneinschränkbares Recht begründen soll. Wird der Gesetzgeber selbst unmittelbar an dieses Grundrecht gebunden, muss er umgekehrt auch von der vorgesehenen Beschränkungsmöglichkeit Gebrauch machen können. Der Schrankenvorbehalt steht dem nicht entgegen. Bei Eingriffen in die Fortbewegungsfreiheit unmittelbar durch Gesetz droht kein mit dem Schutzzweck der Schranken unvereinbarer Verlust an Rechtsschutz. Die gesetzliche Anordnung des Freiheitseingriffs schafft keine Lage, die die Schutzmechanismen des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz und Satz 2 GG auslösen müsste. Teleologische Gründe sprechen daher bei einem erweiterten Eingriffsverständnis dagegen, die Schrankenregelungen in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 und Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG kompetenziell als Verwaltungsvorbehalt auszulegen.

(,,,)

Umfassende Ausgangsbeschränkungen kommen nur in einer äußersten Gefahrenlage in Betracht. Hier war die Entscheidung des Gesetzgebers für die hier angegriffenen Maßnahmen in der konkreten Situation der Pandemie und nach den auch in diesen Verfahren durch die sachkundigen Dritten bestätigten Erkenntnissen zu den Wirkungen der Maßnahmen und zu den großen Gefahren für Leben und Gesundheit tragfähig begründet und mit dem Grundgesetz vereinbar.

Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

Harbarth
Paulus
Baer
Britz
Ott
Christ
Radtke
Härtel

04.02.2023 - 10:26 [ Netzpolitik.org ]

ZITiS baut Supercomputer zur Entschlüsselung

(16.10.2018)

Dieser Supercomputer hat „höchste Priorität“ für die ZITiS-Abnehmer Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Bundespolizei.

Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass ZITiS auch einen Quantencomputer einsetzen will. Ob Supercomputer und Quantencomputer verschiedene Projekte sind, will ZITiS auf Anfrage nicht verraten:

12.01.2023 - 03:39 [ Daniel Neun / Radio Utopie ]

Meine Interpretation dieser Republik: Ein Haufen Schwachsinniger, Lügner und Feiglinge

(20.04.2014)

Die Geheimdienste bespitzeln alles und jeden, wie sie nur können und sie setzen dabei alles an technischen Mitteln ein was ihnen zur Verfügung steht. Das Grundgesetz wird dabei von ihnen vollständig ignoriert, bzw nach eigenem Ermessen “interpretiert”. Der Apparat – letztlich ein Haufen Diener der herrschenden Nomenklatura, wie in der D.D.R. – hat seit der faktischen Aufhebung von Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis und der diesbezüglichen Gewaltenteilung durch die in 1968 auf Anweisung der damaligen Besatzungsmächte Westdeutschlands von S.P.D., C.D.U. und C.S.U. beschlossenen “Notstandsgesetze” ein nur mehr durch Vorgesetzte im militärischen Sinne kontrolliertes Eigenleben geführt. Dass das Phänomen des Terrorismus in Westdeutschland exakt nach dieser fundamentalen Umwälzung im Rechtsgefüge auftrat und so seltsam parallel zu den Repressionsmaßnahmen des Staates eskalierte, in einer Ära der S.P.D.-Regierungsführung, ist in Deutschland nie thematisiert worden. Dazu kommen die Maßnahmen, die jede substantiell immer noch schlimmere Regierung seit den Attentaten des 11. Septembers in Deutschland beschlossen und verfügt hat. (Notstandsgesetze, 11. September, Totalüberwachung: Die Interpretation des “kollektiven Verteidigungsfalls”)

Kein einziger Abgeordneter des Bundestages, kein einziger Richter, kein einziger etablierter Journalist ist dem wirklich entgegen getreten. Keiner.

Dazu nochmal der Hinweis: jede etablierte Partei hat das Grundgesetz bereits in Frage gestellt. Keine einzige etablierte oder populäre Organisation verteidigt es mehr. Keine.

21.09.2022 - 12:45 [ Radio Utopie ]

„Selbst Forderung der Drei Westmächte könnte die verfassungswidrige Grundgesetzänderung nicht rechtfertigen“

(19. Februar 2017)

Artikelserie (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9) zu den Verfassungsgerichtsbeschlüssen 2 BvE 5/15 (zur Nichtannahme der Verfassungsklage der G 10-Kommission auf Einsicht in die „N.S.A.-Selektorenliste“) und 2 BvE 2/15 (zur Geheimhaltung der „Selektorenliste“ auch vor dem „Untersuchungsausschuss“ von Bundesnachrichtendienst und National Security Agency). Und zu deren Vorgeschichte und Folgen.

Wie zuvor von uns dokumentiert, hob im Sommer 1968 das „siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes“ („Notstandsgesetze“) die Gewaltenteilung bezüglich des Brief- Post- und Fernmeldegeheimnisses auf und schrieb zudem in das Grundgesetz ein Recht des Staates, den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern die Verletzung ihres Brief- Post- und Fernmeldegeheimnisses durch den Staat nicht einmal mitzuteilen.

Über nachfolgend eingereichte Verfassungsklagen gegen dieses „siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes“ vom 24. Juni 1968, sowie gegen das anschließend von „S.P.D.“, „C.D.U.“ und „C.S.U.“ ebenfalls beschlossene ausführende erste Artikel 10-Gesetz vom 13. August 1968, entschied das westdeutsche Verfassungsgericht in Karlsruhe am 12. Dezember 1970 im Verfahren 2 BvF 1/69; 2 BvR 629/68; 2 BvR 308/69, auch „Abhörurteil“ genannt und heute zumeist zitiert als BVerfGE 30, 1. (Quelle 1, Quelle 2)

Mit 5 zu 3 Stimmen beurteilte der zweite Senat die „Notstandsgesetze“ als verfassungsgemäß. Aufgehoben wurde lediglich ein kleiner Abschnitt im ausführenden Artikel 10-Gesetz.

Für die „Notstandsgesetze“ der „großen Koalition“ stimmten die Richter Seuffert, Dr. Leibholz, Dr. Geiger, Dr. Kutscher und Dr. Rinck.

Dagegen stimmten die Richter Geller, Dr. v.Schlabrendorff und Dr. Rupp. Hier Auszüge ihrer abweichenden Meinung zum Urteil vom 15. Dezember 1970 (der Link zu den „Großer Lauschangriff“ genannten Verfassungsänderungen der „großen Koalition“ dreißig Jahre später in 1998, wiederum Grundlage für das B.K.A.-Gesetz der „großen Koalition“ in 2008, wurde hinzugefügt):

…………..

21.09.2022 - 12:30 [ Radio Utopie ]

13. August 1968: Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) (G10)

(10.6.2015)

Anm. der Red.: Da der Öffentlichkeit der Republik das „Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) (G10)“ vom 13. August 1968 bis heute offensichtlich weder zur Kenntnis gebracht wurde, noch im Internet in Textform vorliegt, sowie die Verwendung einer PDF des Bundesanzeigers über den privaten Gebrauch hinaus „nicht statthaft ist“, haben wir das gesamte Gesetz abgetippt. Es dürfte unter einer Bevölkerung von 80 Millionen Menschen rund 200 Personen bekannt sein.

21.09.2022 - 12:20 [ Documentarchiv.de ]

Siebzehntes Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes [„Notstandsgesetze“] Vom 24. Juni 1968

2. Artikel 10 erhält folgende Fassung:

„Artikel 10

(1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.
(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.“

(…)

6. Artikel 19 Abs. 4 wird durch folgenden Satz ergänzt:

„Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.“

20.09.2022 - 12:41 [ Daniel Neun / Radio Utopie ]

#Internetsperren: Warum das Urteil des E.U.-Gerichtshofs nichts bedeutet

(27.03.2014)

1. Das heisst nicht „Europäischer Gerichtshof“. Das heißt „Gerichtshof der Europäischen Union“.

2. Die „Grundrechte“ der E.U. sind Folklore a la Dr. Seltsam Schäuble, die „umgesetzt“ werden „können“, Art.52 Abs.5. Die 2000 vom E.G.-„Parlament“ beschlossene Charta enthielt diesen außer Funktion setzenden Passus übrigens noch nicht.

3. Wer nach diesem #Internetsperren-Urteil des Gerichtshofs der „Europäischen Union“ immer noch an die E.U. als positives Projekt glaubt, ist ein Gläubiger oder wird dafür bezahlt. Mehr nicht.

4. Der #GhdEU schiebt sowieso alles an die „nationalen“ *schauder* Verfassungsgerichte zurück.

5. Lernt Lesen.

6. Stört meine Kreise nicht.

20.09.2022 - 12:35 [ Gerichtshof der Europäischen Union ]

Urteil des Gerichtshofs in den verbundenen Rechtssachen C-339/20 | VD und C-397/20 | SR

Es geht im Wesentlichen um das Zusammenspiel der einschlägigen Vorschriften der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation im Lichte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden Charta) und der einschlägigen Vorschriften der Marktmissbrauchsrichtlinie und der Marktmissbrauchsverordnung.

(…)

Der Gerichtshof gelangt deshalb zu dem Schluss, dass es nach der Marktmissbrauchsrichtlinie und der Marktmissbrauchsverordnung in Verbindung mit der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation und im
Lichte der Charta
nicht zulässig ist, dass die Anbieter von Diensten der elektronischen Kommunikation die Verkehrsdaten ab dem Zeitpunkt der Speicherung zur Bekämpfung von Straftaten des Marktmissbrauchs, u.a. von Insidergeschäften, ein Jahr lang allgemein und unterschiedslos auf Vorrat speichern.

20.09.2022 - 12:29 [ Spiegel.de ]

EuGH-Urteil: Deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen EU-Recht

Wer hat geklagt?

Ausgangspunkt sind die Klagen der Provider SpaceNet und Deutsche Telekom von 2016. Das Verwaltungsgericht Köln hatte entschieden, dass die beiden Unternehmen nicht zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet seien. Die Bundesnetzagentur setzte die Durchsetzung der Regelung sogar insgesamt aus, kein Provider muss daher Verkehrsdaten speichern. Doch 2019 legte das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Revision die Frage nach der Vereinbarkeit mit EU-Recht dem EuGH vor.

15.09.2022 - 14:10 [ Netzpolitik.org ]

Pläne der Kommission: Wie die Chatkontrolle EU-weit Wellen schlägt

So nahm etwa die niederländische Regierung dazu am 17. Juni in einem Positionspapier ausführlich Stellung. Ihre Kritik fällt – auch wenn sie sich laut internen Dokumenten auf EU-Ebene grundsätzlich für das Scannen von Nachrichten ausspricht – hart aus.

Zwar begrüßt die Regierung laut ihrer offiziellen Position,…

Ganz ähnlich klingt die Einschätzung aus Warschau. Denn auch die polnische Regierung hat sich kritisch zum Entwurf geäußert. Zwar unterstützt auch sie die Bemühungen der Kommission,…

Die tschechische Regierung äußerte sich etwas zurückhaltender. Auch sie begrüßt Initiativen zur Bekämpfung…

13.09.2022 - 16:29 [ Patrick Breyer / Chatkontrolle.de ]

Chatkontrolle: Die Abschaffung des Digitalen Briefgeheimnisses

Wie ist es soweit gekommen?

Die Europäische Kommission hat 2020 ein Gesetz auf den Weg gebracht, das es erlaubt, alle privaten Chats, Nachrichten und E-Mails verdachtslos und flächendeckend auf verbotene Darstellungen Minderjähriger und Anbahnungsversuche (Kontaktaufnahme zu Minderjährigen) zu durchsuchen. Das heißt: Facebook Messenger, Gmail & Co dürfen jede Kommunikation auf verdächtiges Text- und Bildmaterial scannen. Und zwar vollautomatisiert, durch den Einsatz von sog. ‘Künstlicher Intelligenz’ – ohne, dass ein Verdacht vorliegen muss. Meldet ein Algorithmus einen Verdachtsfall, werden alle Nachrichteninhalte und Kontaktdaten automatisch und ohne menschliche Prüfung an eine private Verteilstelle und weiter an Polizeibehörden weltweit geleitet. Die Betroffenen sollen nie davon erfahren.

Einige US-Dienste wie GMail und Outlook.com praktizieren diese automatische Nachrichten- und Chatkontrolle bereits. Verschlüsselte Nachrichten sind zurzeit noch ausgenommen.

Die EU-Kommission will mit einem zweiten Gesetz nun alle Anbieter zum Einsatz dieser Technologie verpflichten.

11.09.2022 - 10:00 [ Netzpolitik.org ]

Vorratsdatenspeicherung: Faesers verwirrender Vorstoß

Als Alternative zur Vorratsdatenspeicherung gilt eine sogenannte Quick-Freeze-Lösung. Bundesjustizminister Marco Buschmann erklärte das im vergangenen Dezember so: „Telekommunikationsanbieter sollen bei einem konkreten Anlass auf richterliche Anordnung hin schnell Daten sichern müssen, damit Polizei und Staatsanwaltschaft sie dann auswerten können.“ Die Daten werden also „eingefroren“, bevor der Anbieter sie routinemäßig löschen würde.

15.06.2022 - 08:39 [ Florian Fade / Tagesschau.de ]

Koalitionspläne: Mehr Kontrolle über die Geheimdienste

Zumindest bei der sogenannten „Hackerbehörde“ aber könnte es nun schnell gehen. Die Zentrale Stelle für die Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) soll technische Werkzeuge wie „Staatstrojaner“ für Polizeien und Geheimdienste entwickeln. Bislang aber agiert die Einrichtung mit Sitz in München, von der nicht einmal Bundestagsabgeordnete und Fachpolitiker so genau wissen, was dort eigentlich gemacht wird, ohne eigenes Gesetz. Das soll sich nun ändern.

05.06.2022 - 10:51 [ Neues Deutschland ]

Umkämpfte Verfassung: Die Einführung des Sondervermögens für die Bundeswehr ins Grundgesetz hat unrühmliche Vorgänger

Trotz allen Wider­stan­des trat die Bun­des­re­pu­blik 1955 der Nato bei und die Bun­des­wehr wur­de gegrün­det, was 1956 meh­re­re Grund­ge­setz­än­de­run­gen zur Fol­ge hat­te. Die KPD hat­te nicht mehr viel Zeit, sich dazu zu äußern; sie wur­de – als ein­zi­ge kom­mu­nis­ti­sche Par­tei in West­eu­ro­pa – noch im glei­chen Jahr verboten.

Die hier­nach ein­set­zen­de Ruhe hielt bis zur Mit­te der 60er-Jah­re. Die 1966 ins Amt gekom­me­ne Gro­ße Koali­ti­on aus SPD und CDU/CSU mach­te Ernst mit den Not­stands­ge­set­zen. Sie fin­den 1968 Ein­gang in die Ver­fas­sung. Ein­ge­führt wur­den damit diver­se Mög­lich­kei­ten zur Ein­schrän­kung von Grund­rech­ten und demo­kra­ti­schen Ver­fah­ren bei Krie­gen, Auf­stän­den oder Kata­stro­phen.

30.03.2022 - 20:41 [ Rado Utopie ]

„Strategische Überwachung der Telekommunikation“: Die verschwiegene Infrastruktur der Totalüberwachung

(16.3.2015)

In der „Begründung zum Entwurf für eine Erste Verordnung zur Änderung Telekommunikations-Überwachungsverordnung“ vom 29. April 2002 schrieb die Regierung:

Die Überwachungsmaßnahmen nach den §§ 5 und 8 des G 10 zielen auf ein regional begrenztes Gebiet ab, über das Informationen gesammelt werden sollen. Sie beziehen sich auf internationale Telekommunikationsbeziehungen, soweit eine gebündelte Übertragung erfolgt. Das Besondere an der strategischen Fernmeldekontrolle ist dabei, dass aus einer großen Menge verschiedenster Sachverhalte einzelne ausgewertet werden, die sich hierfür aufgrund bestimmter Merkmale qualifizieren. (…)

Die hierfür bei den Verpflichteten zum Einsatz gelangenden technischen Einrichtungen sind (..) weniger komplex als die Einrichtungen, die zur Umsetzung der übrigen Überwachungsmaßnahmen erforderlich sind. Dies liegt insbesondere darin begründet, dass der Betreiber bei der technischen Umsetzung dieser strategischen Kontrollmaßnahmen keinen Bezug auf eine bestimmte Person oder Anschlusskennung zu beachten hat. Angesichts der wenigen Anbieter, die internationale Übertragungswege anbieten, auf denen eine gebündelte Übertragung erfolgt, ist davon auszugehen, dass insgesamt nur verhältnismäßig wenige technische Einrichtungen zum Einsatz kommen. (…)

Der Gesetzgeber hat bei der Novellierung des G 10 eine Frist von 2 Jahren eingeräumt, innerhalb der eine Evaluation der geänderten Möglichkeiten gerade mit Blick auf die strategische Kontrolle verlangt wird. Auch diese Vorschrift fordert unverzügliches Handeln bei der technischen und organisatorischen Umsetzung von Maßnahmen zur strategischen Überwachung der Telekommunikation.“

Dazu Heise.de am 1.Februar 2002:

„Offenbar, so vermuten nun Experten, will der Bundesnachrichtendienst wohl nun selbst 100 Prozent erfassen, um dann freiwillig nur 20 Prozent auszuwerten.“

04.12.2021 - 16:04 [ Radio Utopie ]

Wie die Interpretation des Grundgesetzes zwecks Militäreinsatz im Innern zustande kam

(24. Juli 2016)

Am 17. August 2012 schließlich veröffentlichte das Bundesverfassungsgerichts Beschluss 2 PBvU 1/11.

Wohl gemerkt: einen Beschluss. Nicht etwa ein Urteil.

Durch diesen Beschluss interpretierte das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2012 das dreiundsechzig Jahre zuvor in Kraft getretene Grundgesetz einfach um, interpretierte Attentate als „Naturkatastrophe oder..Unglücksfall“ (Wortlaut Grundgesetz Artikel 35!), interpretierte daraus den „Katastrophennotstand“ (von dem im Grundgesetz nie die Rede war und ist) und interpretierte den bestehenden Artikel 35 Grundgesetz dahingehend um, dieser gebe der Regierung das Recht eigenmächtig und ohne Parlamentsbeschluss der Bundeswehr und ihren Soldaten einen bewaffneten Einsatz im Inland zu befehlen, unter Umgehung selbst der „Notstandsgesetze“ und Artikel 87a.

04.12.2021 - 16:01 [ Achse des Guten ]

Die Bundeswehr als „Corona-Ordnungsmacht“

Viele rechtliche und institutionelle Vorkehrungen, die die Väter des Grundgesetzes ersonnen hatten, um die Wiederkehr eines autoritären oder totalitären Gewaltsystems auf deutschem Boden zu verhindern, wurden und werden marginalisiert oder über Bord geworfen: der Föderalismus, die Gewaltenteilung, der Parlamentsvorbehalt, die Unabhängigkeit der Justiz und, nicht zuletzt, die Grundrechte. Und nun wird gar einem leibhaftigen Bundeswehr-General die Leitung eines neuen Krisenstabes anvertraut und zwar unter Federführung einer noch gar nicht amtierenden Bundesregierung – in einem institutionellen Niemandsland gewissermaßen. Diesmal ist nichts davon zu hören, dass sich führende Politiker dem Äußersten entgegenstellen. Im Gegenteil: Bald-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte bei der Berufung von Generalmajor Carsten Breuer, der neue „Corona-General“ („Bild“) werde „alles tun, was nötig ist. Es gibt nichts, das nicht in Betracht gezogen werden kann“.

24.06.2021 - 14:04 [ Radio Utopie ]

Warum der Staat potentiell jedes Verbrechen ungestraft begehen kann

(21.02.2020)

Wir haben bereits dargelegt, warum es in Deutschland keine unabhängige Justiz und damit keine vollständige Gewaltenteilung gibt – weil das Grundgesetz den Staat nicht ausdrücklich dazu zwingt. Das Grundgesetz schreibt dem Staat lediglich die Unabhängigkeit der Richter vor, nicht die der Justiz insgesamt. Daraus interpretiert der Staat für sich das Recht, die Staatsanwaltschaften bzw Ankläger der Exekutive anzugliedern.

Auf Bundesebene heißt das konkret: der Generalbundesanwalt und seine Behörde (allgemein Bundesanwaltschaft) unterstehen dem Justizminister. Daraus schlussfolgert, dass nach eventuellen Staatsverbrechen und / oder Verfassungsbrüchen durch ihre eigenen Organe – Kanzleramt, Ministerien, Behörden, Militär, Geheimdienste, etc, – die Regierung gegen sich selbst ermitteln müsste.

Zieht also die Bundesanwaltschaft bzw der Generalbundesanwalt ein Verfahren an sich, zieht es die Regierung an sich.

Verbleibt noch die Möglichkeit, dass das Parlament Untersuchungsausschüsse einsetzt, dass durch diese die betreffenden Staatsverbrechen aufgeklärt und dann öffentlich bekannt werden, dem folgend durch Wahlen eine Änderung der parlamentarischen Mehrheiten erfolgt, dann eine Neuwahl des Kanzlers / der Kanzlerin durch das Parlament, dann durch den Kanzler / die Kanzlerin eine Ernennung eines neuen Justizministers erfolgt (Minister / Ministerinnen werden nicht gewählt), dann durch den Justizminister / die Justizministerin eine Ernennung eines neuen Generalbundesanwalts oder eine Anweisung an den amtierenden Generalbundesanwalt erfolgt Ermittlungen gegen die damaligen oder immer noch amtierenden staatlichen Funktionäre bzw Stellen aufzunehmen und dass dieser dann der Anweisung des vorgesetzten Justizministers folgt. Wobei dann ggf die Ermittlungen durch die Regierungsbehörden (Geheimdienste, Bundeskriminalamt) erfolgen müsste, gegen die ermittelt wird.

Vor bald 40 Jahren wurde in Westdeutschland das Oktoberfest-Attentat verübt, kurz vor der Bundestagswahl. (20. Juni 2008, DER TERROR-STAAT: Das Oktoberfest-Attentat von München)

Ein Jahr später, 1981, wurde durch einen einzigen hartnäckigen Steuerfahnder bekannt, dass seit den 70er Jahren durch den Flick-Konzern an Abgeordnete von allen Parteien, sowie an Regierungsfunktionäre, hohe Summen transferiert worden waren (Flick-Affäre). Vor einem schließlich 1984 vom Bundestag eingesetzten Untersuchungsausschuss log der amtierende Bundeskanzler Helmut Kohl und behauptete nichts über Flicks Geldwaschanlage „Staatsbürgerliche Vereinigung“ gewusst zu haben (die Aktenlage bewies das Gegenteil).

Der damalige Generalbundesanwalt, der Untergebene von Kohls untergebenem Justizminister, stellte das Strafverfahren gegen den Kanzler wegen uneidlicher Falschaussage ein. Begründung: man könne ihm nicht nachweisen, dass er sich erinnert habe. Insofern sei keine vorsätzliche Lüge zu beweisen.

Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht am 17. Juli 1984 in Urteil 2 BvE 11, 15/83 (1, 2) im Zuge der Flick-Affäre das vom Grundgesetz garantierte Kontrollrecht des Parlaments – konkret: das Recht auf Akteneinsicht bei der Regierung – der einfachen Gesetzgebung untergeordnet. Die Verfassungsrichter (die erst ab dem Jahre 2017 überhaupt verfassungsgemäß gewählt wurden) urteilten, dass

„auf Aktenherausgabeverlangen … gemäß Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG die Vorschrift der § 96 StPO“

Anwendung fände. Dieser Paragraph der Strafprozessordnung besagt heute wie damals:

„Die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte darf nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, daß das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde.“

Ausdrücklich erklärten die Verfassungsrichter in ihrem Urteil zur Flick-Affäre, darunter falle auch das Steuergeheimnis.

Um diese faktische Unterordnung des Parlaments unter die Erklärungen von Regierungsfunktionären und deren Meinung was das Wohl des Staates sei zu begründen, schufen die Verfassungsrichter in ihrem Urteil den Begriff „exekutive Eigenverantwortung“. Später wurde daraus in weiteren Karlsruher Urteilen der Rechtsbegriff „Staatswohl“ geformt.

Der Kanzler Helmut Kohl wurde übrigens nicht nur durch 1984 durch den Untergebenen seines Untergebenen (den Generalbundesanwalt) laufen gelassen, sondern ebenso durch seinen Nachfolger Gerhard Schröder und dessen rot-grüne Regierung, sowie deren Mehrheit im Parlament ab 1998.

Als in einer weiteren (und eventuell mit der Flick-Affäre zusammenhängenden) „Spenden“-Affäre um die schwarzen Kassen der C.D.U. sich ex-Kanzler Kohl schlicht weigerte, die „Spender“ seiner Partei zu nennen oder sich im betreffenden Untersuchungsausschuss auch nur vereidigen zu lassen, passierte gar nichts. Aus „Juristenkreisen“ hieß es, es sei nicht einmal klar, ob ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss Zeugen überhaupt vereidigen dürfe.

Betreffend des Oktoberfest-Attentats von 1980 ließen sich Parlament bzw alle darin vertretenen Abgeordneten und Parteien erst einmal 34 Jahre Zeit. Dann reichte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Oktober 2014 eine Kleine Anfrage an die Regierung ein, u.a. zur potentiellen Verwicklung staatlicher (exekutiver) Stellen und deren Kontaktpersonen („Vertrauensleute“) in das Attentat. Im Januar 2015 reichten sie noch eine Anfrage ein.

Als die Regierung beide nicht vollständig beantwortete, reichte die grüne Bundestagsfraktion schließlich Klage auf vollständige Beantwortung beim Bundesverfassungsgericht ein.

2017 dann das Urteil – abgelehnt! Begründung: „Gefährdung des Staatswohls und .. Grundrechte verdeckt handelnder Personen“.

26.05.2021 - 06:57 [ openjur.de ]

BVerfG · Urteil vom 15. Dezember 1970 · Az. 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68, 2 BvR 308/69

Diese Entscheidung ist mit 5 gegen 3 Stimmen ergangen.

Seuffert, Dr. Leibholz, Geller, Dr. v.Schlabrendorff, Dr. Rupp, Dr. Geiger, Dr. Kutscher, Dr. Rinck

Abweichende Meinung der Richter Geller, Dr. v.Schlabrendorff und Dr. Rupp zu dem Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1970
— 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68 und 308/69 —

(…)

c) Nach Wortlaut, Sinnzusammenhang und Zweck gestattet Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG mithin, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis zu Zwecken des Verfassungs- und Staatsschutzes in einer Weise zu beschränken, die das heimliche, dem Betroffenen auch im nachhinein geheim bleibende und von einem Gericht nicht nachzuprüfende Abhören und Kontrollieren von Telefongesprächen, Fernschreiben, Telegrammen und Briefen ermöglicht. Der Kreis der Betroffenen ist unbegrenzt und nicht auf „Verdächtige“ beschränkt. Der Charakter der der „parlamentarischen Kontrolle“ dienenden Organe und Hilfsorgane bleibt völlig unbestimmt; sie können vom Gesetzgeber als politische Gremien oder auch als abhängige Verwaltungskörper ausgestaltet werden. Die Auslegung, die Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG im Urteil findet, gibt daher dem Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG einen anderen Sinn. Sie engt ihn ein und verändert seinen normativen Inhalt. Dies zu tun, ist aber ausschließlich Sache des Gesetzgebers (BVerfGE 8, 71 [78 f.]; 9, 83 [87]).

Daß das Gesetz zu Art. 10 Grundgesetz möglicherweise den weiten Spielraum der ermächtigenden Verfassungsnorm nicht ausgeschöpft hat, ist nicht von Belang. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG zwingt nicht zu einer entsprechenden Regelung. Der Gesetzgeber kann es bei dem Zustand belassen, der der bisherigen Verfassungslage entspricht. Er kann von ihm auch in den verschiedensten Variationen abweichen. Für die Prüfung der Frage, ob die Verfassungsänderung nach Art. 79 Abs. 3 GG zulässig ist, ist Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG nur im ganzen Ausmaß der Möglichkeiten, die er dem einfachen Gesetzgeber einräumt, maßgebend.

2. In der zu 1) dargelegten Auslegung ist die Verfassungsänderung nach Art. 79 Abs. 3 GG unzulässig.

a) Art. 79 Abs. 3 GG erklärt bestimmte Grundsätze der Verfassung für unantastbar. Das Grundgesetz kennt also – anders als die Weimarer Reichsverfassung und die Verfassung des Kaiserreichs – Schranken der Verfassungsänderung. Eine solche gewichtige und in ihren Konsequenzen weittragende Ausnahmevorschrift darf sicherlich nicht extensiv ausgelegt werden. Aber es heißt ihre Bedeutung völlig verkennen, wenn man ihren Sinn vornehmlich darin sehen wollte, zu verhindern, daß der formallegalistische Weg eines verfassungsändernden Gesetzes zur nachträglichen Legalisierung eines totalitären Regimes mißbraucht wird. Es bedarf keiner besonderen Betonung, daß ein „Ermächtigungsgesetz“ wie das von 1933 unzulässig wäre. Art. 79 Abs. 3 GG bedeutet mehr: Gewisse Grundentscheidungen des Grundgesetzgebers werden für die Dauer der Geltung des Grundgesetzes – ohne Vorwegnahme einer künftigen gesamtdeutschen Verfassung – für unverbrüchlich erklärt. Diese vor einer Änderung zu schützenden Grundentscheidungen sind nach Art. 79 Abs. 3 GG einmal die Entscheidung für das föderalistische Prinzip und zum anderen die in den Artikeln 1 und 20 GG sich manifestierende Entscheidung. Wie weit oder wie eng auch immer man den Bereich der in Art. 1 GG und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze ziehen mag, jedenfalls gehören diejenigen Grundsätze dazu, die dem Grundgesetz das ihm eigene Gepräge geben. Die beiden Normen sind die Eckpfeiler der grundgesetzlichen Ordnung.

(…)

Die Gewährung eines individuellen Rechtsschutzes ist im System der Gewaltenteilung eine Funktion der Rechtsprechung, da sie dem Schutz gegen Eingriffe der beiden anderen Gewalten dient.
Die Rechtsschutzorgane gehören daher in den Funktionsbereich der Rechtsprechung. Ob sie dem traditionellen Gerichtstyp entsprechen müssen, mag dahinstehen. Jedenfalls ist wesentlich, daß sie auch die Garantien der Neutralität erfüllen, was eine Trennung von Legislative und Exekutive bedingt, und daß sie in einem geordneten Verfahren entscheiden. Dies bedeutet vor allem, daß der Betroffene an dem Verfahren beteiligt wird. Es sollte nicht mehr besonders betont werden müssen, daß ein Geheimverfahren, wie es in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG zugelassen ist, also ein Verfahren, in dem der Betroffene nicht gehört wird und sich nicht verteidigen kann, keinen Rechtsschutz bietet.

26.05.2021 - 05:06 [ Radio Utopie ]

Als das Bundesverfassungsgericht Deutschland zur elektronischen Kolonie erklärte

(15.06.2017)

Mit diesen Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts, durch die sich ein Betrafungs- und Kontrollwahn gekränkter, autoritärer Geister in entsprechender Tradition zog, verfolgt das Bundesverfassungsgericht eine kohärente Linie: die Erniedrigung und Zerstörung einer einst nur als „Etappe“ gedachten, aber nun souverän gewordenen Berliner Republik hin zu einer elektronischen Kolonie in der Hegemonie der Vereinigten Staaten von Amerika, die zusammen mit Dutzenden anderer europäischen Demokratien im Zuge jahrzehntealter Strategien und der Taktik des Terrorkrieges „Leak“ und „Whistleblower“ in die Subhegemonie der „Europäischen Union“ überführt, entdemokratisiert und entstaatlicht werden soll (wovor wir bereits zu Beginn der Veröffentlichungen von Edward Snowden im Juni 2013 gewarnt hatten).

Diese beiden Beschlüsse, ergangen nur Monate vor dem Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz, gaben die Republik einem – vom Bundesverfassungsgerichts selbst dokumentierten – Jahrzehnte lang unkontrollierten und in Willkür handelnden internationalen geheimdienstlichen Komplex zum Abschuss frei und sicherten diesem, zumindest auf Bundesebene und bis zur nächsten Parlamentswahl im September 2017, gegen jeden Untersuchungsausschuss und damit parlamentarische Kontrolle durch die noch verbliebene Opposition ab.

Des Weiteren wirkten diese Beschlüsse effektiv als Öffnen der Schleusen eines elektronischen Polizeistaates, welcher, bei gleicher Mentalität und in Kontinuität zu vorhergehenden historischen Modellen, in seinen Ausformungen nur noch gebremst wird durch digitale Selbstverteidigung der Bürgerinnen und Bürger (etwa durch Verschlüsselung ihrer Telekommunikation) und das Weiterbestehen der durch den Staat bereits weitgehend ignorierten oder uminterpretierten Verfassung.

22.04.2021 - 20:08 [ Achse des Guten ]

Durchsicht: Neue Notstands-Normalität

Die entscheidende Bundestagssitzung war eher Ausdruck einer neuen Notstandsnormalität, in der ein Streit, wie er früher um die Notstandsgesetze geführt wurde, völlig undenkbar scheint.

19.02.2021 - 08:00 [ Radio Utopie ]

Warum der Staat potentiell jedes Verbrechen ungestraft begehen kann

(21.02.2020)

Wir haben bereits dargelegt, warum es in Deutschland keine unabhängige Justiz und damit keine vollständige Gewaltenteilung gibt – weil das Grundgesetz den Staat nicht ausdrücklich dazu zwingt. Das Grundgesetz schreibt dem Staat lediglich die Unabhängigkeit der Richter vor, nicht die der Justiz insgesamt. Daraus interpretiert der Staat für sich das Recht, die Staatsanwaltschaften bzw Ankläger der Exekutive anzugliedern.

Auf Bundesebene heißt das konkret: der Generalbundesanwalt und seine Behörde (allgemein Bundesanwaltschaft) unterstehen dem Justizminister. Daraus schlussfolgert, dass nach eventuellen Staatsverbrechen und / oder Verfassungsbrüchen durch ihre eigenen Organe – Kanzleramt, Ministerien, Behörden, Militär, Geheimdienste, etc, – die Regierung gegen sich selbst ermitteln müsste.

Zieht also die Bundesanwaltschaft bzw der Generalbundesanwalt ein Verfahren an sich, zieht es die Regierung an sich.

Verbleibt noch die Möglichkeit, dass das Parlament Untersuchungsausschüsse einsetzt, dass durch diese die betreffenden Staatsverbrechen aufgeklärt und dann öffentlich bekannt werden, dem folgend durch Wahlen eine Änderung der parlamentarischen Mehrheiten erfolgt, dann eine Neuwahl des Kanzlers / der Kanzlerin durch das Parlament, dann durch den Kanzler / die Kanzlerin eine Ernennung eines neuen Justizministers erfolgt (Minister / Ministerinnen werden nicht gewählt), dann durch den Justizminister / die Justizministerin eine Ernennung eines neuen Generalbundesanwalts oder eine Anweisung an den amtierenden Generalbundesanwalt erfolgt Ermittlungen gegen die damaligen oder immer noch amtierenden staatlichen Funktionäre bzw Stellen aufzunehmen und dass dieser dann der Anweisung des vorgesetzten Justizministers folgt. Wobei dann ggf die Ermittlungen durch die Regierungsbehörden (Geheimdienste, Bundeskriminalamt) erfolgen müsste, gegen die ermittelt wird.

Vor bald 40 Jahren wurde in Westdeutschland das Oktoberfest-Attentat verübt, kurz vor der Bundestagswahl. (20. Juni 2008, DER TERROR-STAAT: Das Oktoberfest-Attentat von München)

Ein Jahr später, 1981, wurde durch einen einzigen hartnäckigen Steuerfahnder bekannt, dass seit den 70er Jahren durch den Flick-Konzern an Abgeordnete von allen Parteien, sowie an Regierungsfunktionäre, hohe Summen transferiert worden waren (Flick-Affäre). Vor einem schließlich 1984 vom Bundestag eingesetzten Untersuchungsausschuss log der amtierende Bundeskanzler Helmut Kohl und behauptete nichts über Flicks Geldwaschanlage „Staatsbürgerliche Vereinigung“ gewusst zu haben (die Aktenlage bewies das Gegenteil).

Der damalige Generalbundesanwalt, der Untergebene von Kohls untergebenem Justizminister, stellte das Strafverfahren gegen den Kanzler wegen uneidlicher Falschaussage ein. Begründung: man könne ihm nicht nachweisen, dass er sich erinnert habe. Insofern sei keine vorsätzliche Lüge zu beweisen.

Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht am 17. Juli 1984 in Urteil 2 BvE 11, 15/83 (1, 2) im Zuge der Flick-Affäre das vom Grundgesetz garantierte Kontrollrecht des Parlaments – konkret: das Recht auf Akteneinsicht bei der Regierung – der einfachen Gesetzgebung untergeordnet. Die Verfassungsrichter (die erst ab dem Jahre 2017 überhaupt verfassungsgemäß gewählt wurden) urteilten, dass

„auf Aktenherausgabeverlangen … gemäß Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG die Vorschrift der § 96 StPO“

Anwendung fände. Dieser Paragraph der Strafprozessordnung besagt heute wie damals:

„Die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte darf nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, daß das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde.“

Ausdrücklich erklärten die Verfassungsrichter in ihrem Urteil zur Flick-Affäre, darunter falle auch das Steuergeheimnis.

Um diese faktische Unterordnung des Parlaments unter die Erklärungen von Regierungsfunktionären und deren Meinung was das Wohl des Staates sei zu begründen, schufen die Verfassungsrichter in ihrem Urteil den Begriff „exekutive Eigenverantwortung“. Später wurde daraus in weiteren Karlsruher Urteilen der Rechtsbegriff „Staatswohl“ geformt.

Der Kanzler Helmut Kohl wurde übrigens nicht nur durch 1984 durch den Untergebenen seines Untergebenen (den Generalbundesanwalt) laufen gelassen, sondern ebenso durch seinen Nachfolger Gerhard Schröder und dessen rot-grüne Regierung, sowie deren Mehrheit im Parlament ab 1998.

Als in einer weiteren (und eventuell mit der Flick-Affäre zusammenhängenden) „Spenden“-Affäre um die schwarzen Kassen der C.D.U. sich ex-Kanzler Kohl schlicht weigerte, die „Spender“ seiner Partei zu nennen oder sich im betreffenden Untersuchungsausschuss auch nur vereidigen zu lassen, passierte gar nichts. Aus „Juristenkreisen“ hieß es, es sei nicht einmal klar, ob ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss Zeugen überhaupt vereidigen dürfe.

Betreffend des Oktoberfest-Attentats von 1980 ließen sich Parlament bzw alle darin vertretenen Abgeordneten und Parteien erst einmal 34 Jahre Zeit. Dann reichte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Oktober 2014 eine Kleine Anfrage an die Regierung ein, u.a. zur potentiellen Verwicklung staatlicher (exekutiver) Stellen und deren Kontaktpersonen („Vertrauensleute“) in das Attentat. Im Januar 2015 reichten sie noch eine Anfrage ein.

Als die Regierung beide nicht vollständig beantwortete, reichte die grüne Bundestagsfraktion schließlich Klage auf vollständige Beantwortung beim Bundesverfassungsgericht ein.

2017 dann das Urteil – abgelehnt! Begründung: „Gefährdung des Staatswohls und .. Grundrechte verdeckt handelnder Personen“.

17.02.2021 - 09:11 [ Radio Utopie ]

Warum der Staat potentiell jedes Verbrechen ungestraft begehen kann

(21.02.2020)

Wir haben bereits dargelegt, warum es in Deutschland keine unabhängige Justiz und damit keine vollständige Gewaltenteilung gibt – weil das Grundgesetz den Staat nicht ausdrücklich dazu zwingt. Das Grundgesetz schreibt dem Staat lediglich die Unabhängigkeit der Richter vor, nicht die der Justiz insgesamt. Daraus interpretiert der Staat für sich das Recht, die Staatsanwaltschaften bzw Ankläger der Exekutive anzugliedern.

Auf Bundesebene heißt das konkret: der Generalbundesanwalt und seine Behörde (allgemein Bundesanwaltschaft) unterstehen dem Justizminister. Daraus schlussfolgert, dass nach eventuellen Staatsverbrechen und / oder Verfassungsbrüchen durch ihre eigenen Organe – Kanzleramt, Ministerien, Behörden, Militär, Geheimdienste, etc, – die Regierung gegen sich selbst ermitteln müsste.

Zieht also die Bundesanwaltschaft bzw der Generalbundesanwalt ein Verfahren an sich, zieht es die Regierung an sich.

Verbleibt noch die Möglichkeit, dass das Parlament Untersuchungsausschüsse einsetzt, dass durch diese die betreffenden Staatsverbrechen aufgeklärt und dann öffentlich bekannt werden, dem folgend durch Wahlen eine Änderung der parlamentarischen Mehrheiten erfolgt, dann eine Neuwahl des Kanzlers / der Kanzlerin durch das Parlament, dann durch den Kanzler / die Kanzlerin eine Ernennung eines neuen Justizministers erfolgt (Minister / Ministerinnen werden nicht gewählt), dann durch den Justizminister / die Justizministerin eine Ernennung eines neuen Generalbundesanwalts oder eine Anweisung an den amtierenden Generalbundesanwalt erfolgt Ermittlungen gegen die damaligen oder immer noch amtierenden staatlichen Funktionäre bzw Stellen aufzunehmen und dass dieser dann der Anweisung des vorgesetzten Justizministers folgt. Wobei dann ggf die Ermittlungen durch die Regierungsbehörden (Geheimdienste, Bundeskriminalamt) erfolgen müsste, gegen die ermittelt wird.

Vor bald 40 Jahren wurde in Westdeutschland das Oktoberfest-Attentat verübt, kurz vor der Bundestagswahl. (20. Juni 2008, DER TERROR-STAAT: Das Oktoberfest-Attentat von München)

Ein Jahr später, 1981, wurde durch einen einzigen hartnäckigen Steuerfahnder bekannt, dass seit den 70er Jahren durch den Flick-Konzern an Abgeordnete von allen Parteien, sowie an Regierungsfunktionäre, hohe Summen transferiert worden waren (Flick-Affäre). Vor einem schließlich 1984 vom Bundestag eingesetzten Untersuchungsausschuss log der amtierende Bundeskanzler Helmut Kohl und behauptete nichts über Flicks Geldwaschanlage „Staatsbürgerliche Vereinigung“ gewusst zu haben (die Aktenlage bewies das Gegenteil).

Der damalige Generalbundesanwalt, der Untergebene von Kohls untergebenem Justizminister, stellte das Strafverfahren gegen den Kanzler wegen uneidlicher Falschaussage ein. Begründung: man könne ihm nicht nachweisen, dass er sich erinnert habe. Insofern sei keine vorsätzliche Lüge zu beweisen.

Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht am 17. Juli 1984 in Urteil 2 BvE 11, 15/83 (1, 2) im Zuge der Flick-Affäre das vom Grundgesetz garantierte Kontrollrecht des Parlaments – konkret: das Recht auf Akteneinsicht bei der Regierung – der einfachen Gesetzgebung untergeordnet. Die Verfassungsrichter (die erst ab dem Jahre 2017 überhaupt verfassungsgemäß gewählt wurden) urteilten, dass

„auf Aktenherausgabeverlangen … gemäß Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG die Vorschrift der § 96 StPO“

Anwendung fände. Dieser Paragraph der Strafprozessordnung besagt heute wie damals:

„Die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte darf nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, daß das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde.“

Ausdrücklich erklärten die Verfassungsrichter in ihrem Urteil zur Flick-Affäre, darunter falle auch das Steuergeheimnis.

Um diese faktische Unterordnung des Parlaments unter die Erklärungen von Regierungsfunktionären und deren Meinung was das Wohl des Staates sei zu begründen, schufen die Verfassungsrichter in ihrem Urteil den Begriff „exekutive Eigenverantwortung“. Später wurde daraus in weiteren Karlsruher Urteilen der Rechtsbegriff „Staatswohl“ geformt.

Der Kanzler Helmut Kohl wurde übrigens nicht nur durch 1984 durch den Untergebenen seines Untergebenen (den Generalbundesanwalt) laufen gelassen, sondern ebenso durch seinen Nachfolger Gerhard Schröder und dessen rot-grüne Regierung, sowie deren Mehrheit im Parlament ab 1998.

Als in einer weiteren (und eventuell mit der Flick-Affäre zusammenhängenden) „Spenden“-Affäre um die schwarzen Kassen der C.D.U. sich ex-Kanzler Kohl schlicht weigerte, die „Spender“ seiner Partei zu nennen oder sich im betreffenden Untersuchungsausschuss auch nur vereidigen zu lassen, passierte gar nichts. Aus „Juristenkreisen“ hieß es, es sei nicht einmal klar, ob ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss Zeugen überhaupt vereidigen dürfe.

Betreffend des Oktoberfest-Attentats von 1980 ließen sich Parlament bzw alle darin vertretenen Abgeordneten und Parteien erst einmal 34 Jahre Zeit. Dann reichte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Oktober 2014 eine Kleine Anfrage an die Regierung ein, u.a. zur potentiellen Verwicklung staatlicher (exekutiver) Stellen und deren Kontaktpersonen („Vertrauensleute“) in das Attentat. Im Januar 2015 reichten sie noch eine Anfrage ein.

Als die Regierung beide nicht vollständig beantwortete, reichte die grüne Bundestagsfraktion schließlich Klage auf vollständige Beantwortung beim Bundesverfassungsgericht ein.

2017 dann das Urteil – abgelehnt! Begründung: „Gefährdung des Staatswohls und .. Grundrechte verdeckt handelnder Personen“.

04.02.2021 - 10:30 [ openjur.de ]

BVerfG · Urteil vom 15. Dezember 1970 · Az. 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68, 2 BvR 308/69

Diese Entscheidung ist mit 5 gegen 3 Stimmen ergangen.
122
Seuffert, Dr. Leibholz, Geller, Dr. v.Schlabrendorff, Dr. Rupp, Dr. Geiger, Dr. Kutscher, Dr. Rinck

Abweichende Meinung der Richter Geller, Dr. v.Schlabrendorff und Dr. Rupp zu dem Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1970
— 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68 und 308/69 —

(…)

c) Nach Wortlaut, Sinnzusammenhang und Zweck gestattet Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG mithin, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis zu Zwecken des Verfassungs- und Staatsschutzes in einer Weise zu beschränken, die das heimliche, dem Betroffenen auch im nachhinein geheim bleibende und von einem Gericht nicht nachzuprüfende Abhören und Kontrollieren von Telefongesprächen, Fernschreiben, Telegrammen und Briefen ermöglicht. Der Kreis der Betroffenen ist unbegrenzt und nicht auf „Verdächtige“ beschränkt. Der Charakter der der „parlamentarischen Kontrolle“ dienenden Organe und Hilfsorgane bleibt völlig unbestimmt; sie können vom Gesetzgeber als politische Gremien oder auch als abhängige Verwaltungskörper ausgestaltet werden. Die Auslegung, die Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG im Urteil findet, gibt daher dem Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG einen anderen Sinn. Sie engt ihn ein und verändert seinen normativen Inhalt. Dies zu tun, ist aber ausschließlich Sache des Gesetzgebers (BVerfGE 8, 71 [78 f.]; 9, 83 [87]).

Daß das Gesetz zu Art. 10 Grundgesetz möglicherweise den weiten Spielraum der ermächtigenden Verfassungsnorm nicht ausgeschöpft hat, ist nicht von Belang. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG zwingt nicht zu einer entsprechenden Regelung. Der Gesetzgeber kann es bei dem Zustand belassen, der der bisherigen Verfassungslage entspricht. Er kann von ihm auch in den verschiedensten Variationen abweichen. Für die Prüfung der Frage, ob die Verfassungsänderung nach Art. 79 Abs. 3 GG zulässig ist, ist Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG nur im ganzen Ausmaß der Möglichkeiten, die er dem einfachen Gesetzgeber einräumt, maßgebend.

2. In der zu 1) dargelegten Auslegung ist die Verfassungsänderung nach Art. 79 Abs. 3 GG unzulässig.

a) Art. 79 Abs. 3 GG erklärt bestimmte Grundsätze der Verfassung für unantastbar. Das Grundgesetz kennt also – anders als die Weimarer Reichsverfassung und die Verfassung des Kaiserreichs – Schranken der Verfassungsänderung. Eine solche gewichtige und in ihren Konsequenzen weittragende Ausnahmevorschrift darf sicherlich nicht extensiv ausgelegt werden. Aber es heißt ihre Bedeutung völlig verkennen, wenn man ihren Sinn vornehmlich darin sehen wollte, zu verhindern, daß der formallegalistische Weg eines verfassungsändernden Gesetzes zur nachträglichen Legalisierung eines totalitären Regimes mißbraucht wird. Es bedarf keiner besonderen Betonung, daß ein „Ermächtigungsgesetz“ wie das von 1933 unzulässig wäre. Art. 79 Abs. 3 GG bedeutet mehr: Gewisse Grundentscheidungen des Grundgesetzgebers werden für die Dauer der Geltung des Grundgesetzes – ohne Vorwegnahme einer künftigen gesamtdeutschen Verfassung – für unverbrüchlich erklärt. Diese vor einer Änderung zu schützenden Grundentscheidungen sind nach Art. 79 Abs. 3 GG einmal die Entscheidung für das föderalistische Prinzip und zum anderen die in den Artikeln 1 und 20 GG sich manifestierende Entscheidung. Wie weit oder wie eng auch immer man den Bereich der in Art. 1 GG und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze ziehen mag, jedenfalls gehören diejenigen Grundsätze dazu, die dem Grundgesetz das ihm eigene Gepräge geben. Die beiden Normen sind die Eckpfeiler der grundgesetzlichen Ordnung.

04.02.2021 - 10:09 [ Radio Utopie ]

„Selbst Forderung der Drei Westmächte könnte die verfassungswidrige Grundgesetzänderung nicht rechtfertigen“

(19. Februar 2017)

Artikelserie (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9) zu den Verfassungsgerichtsbeschlüssen 2 BvE 5/15 (zur Nichtannahme der Verfassungsklage der G 10-Kommission auf Einsicht in die „N.S.A.-Selektorenliste“) und 2 BvE 2/15 (zur Geheimhaltung der „Selektorenliste“ auch vor dem „Untersuchungsausschuss“ von Bundesnachrichtendienst und National Security Agency). Und zu deren Vorgeschichte und Folgen.

Wie zuvor von uns dokumentiert, hob im Sommer 1968 das „siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes“ („Notstandsgesetze“) die Gewaltenteilung bezüglich des Brief- Post- und Fernmeldegeheimnisses auf und schrieb zudem in das Grundgesetz ein Recht des Staates, den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern die Verletzung ihres Brief- Post- und Fernmeldegeheimnisses durch den Staat nicht einmal mitzuteilen.

Über nachfolgend eingereichte Verfassungsklagen gegen dieses „siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes“ vom 24. Juni 1968, sowie gegen das anschließend von „S.P.D.“, „C.D.U.“ und „C.S.U.“ ebenfalls beschlossene ausführende erste Artikel 10-Gesetz vom 13. August 1968, entschied das westdeutsche Verfassungsgericht in Karlsruhe am 12. Dezember 1970 im Verfahren 2 BvF 1/69; 2 BvR 629/68; 2 BvR 308/69, auch „Abhörurteil“ genannt und heute zumeist zitiert als BVerfGE 30, 1. (Quelle 1, Quelle 2)

Mit 5 zu 3 Stimmen beurteilte der zweite Senat die „Notstandsgesetze“ als verfassungsgemäß. Aufgehoben wurde lediglich ein kleiner Abschnitt im ausführenden Artikel 10-Gesetz.

Für die „Notstandsgesetze“ der „großen Koalition“ stimmten die Richter Seuffert, Dr. Leibholz, Dr. Geiger, Dr. Kutscher und Dr. Rinck.

Dagegen stimmten die Richter Geller, Dr. v.Schlabrendorff und Dr. Rupp. Hier Auszüge ihrer abweichenden Meinung zum Urteil vom 15. Dezember 1970 (der Link zu den „Großer Lauschangriff“ genannten Verfassungsänderungen der „großen Koalition“ dreißig Jahre später in 1998, wiederum Grundlage für das B.K.A.-Gesetz der „großen Koalition“ in 2008, wurde hinzugefügt):

…………..

04.02.2021 - 06:47 [ Radio Utopie ]

Warum der Staat potentiell jedes Verbrechen ungestraft begehen kann

(21.02.2020)

Wir haben bereits dargelegt, warum es in Deutschland keine unabhängige Justiz und damit keine vollständige Gewaltenteilung gibt – weil das Grundgesetz den Staat nicht ausdrücklich dazu zwingt. Das Grundgesetz schreibt dem Staat lediglich die Unabhängigkeit der Richter vor, nicht die der Justiz insgesamt. Daraus interpretiert der Staat für sich das Recht, die Staatsanwaltschaften bzw Ankläger der Exekutive anzugliedern.

Auf Bundesebene heißt das konkret: der Generalbundesanwalt und seine Behörde (allgemein Bundesanwaltschaft) unterstehen dem Justizminister. Daraus schlussfolgert, dass nach eventuellen Staatsverbrechen und / oder Verfassungsbrüchen durch ihre eigenen Organe – Kanzleramt, Ministerien, Behörden, Militär, Geheimdienste, etc, – die Regierung gegen sich selbst ermitteln müsste.

Zieht also die Bundesanwaltschaft bzw der Generalbundesanwalt ein Verfahren an sich, zieht es die Regierung an sich.

Verbleibt noch die Möglichkeit, dass das Parlament Untersuchungsausschüsse einsetzt, dass durch diese die betreffenden Staatsverbrechen aufgeklärt und dann öffentlich bekannt werden, dem folgend durch Wahlen eine Änderung der parlamentarischen Mehrheiten erfolgt, dann eine Neuwahl des Kanzlers / der Kanzlerin durch das Parlament, dann durch den Kanzler / die Kanzlerin eine Ernennung eines neuen Justizministers erfolgt (Minister / Ministerinnen werden nicht gewählt), dann durch den Justizminister / die Justizministerin eine Ernennung eines neuen Generalbundesanwalts oder eine Anweisung an den amtierenden Generalbundesanwalt erfolgt Ermittlungen gegen die damaligen oder immer noch amtierenden staatlichen Funktionäre bzw Stellen aufzunehmen und dass dieser dann der Anweisung des vorgesetzten Justizministers folgt. Wobei dann ggf die Ermittlungen durch die Regierungsbehörden (Geheimdienste, Bundeskriminalamt) erfolgen müsste, gegen die ermittelt wird.

Vor bald 40 Jahren wurde in Westdeutschland das Oktoberfest-Attentat verübt, kurz vor der Bundestagswahl. (20. Juni 2008, DER TERROR-STAAT: Das Oktoberfest-Attentat von München)

Ein Jahr später, 1981, wurde durch einen einzigen hartnäckigen Steuerfahnder bekannt, dass seit den 70er Jahren durch den Flick-Konzern an Abgeordnete von allen Parteien, sowie an Regierungsfunktionäre, hohe Summen transferiert worden waren (Flick-Affäre). Vor einem schließlich 1984 vom Bundestag eingesetzten Untersuchungsausschuss log der amtierende Bundeskanzler Helmut Kohl und behauptete nichts über Flicks Geldwaschanlage „Staatsbürgerliche Vereinigung“ gewusst zu haben (die Aktenlage bewies das Gegenteil).

Der damalige Generalbundesanwalt, der Untergebene von Kohls untergebenem Justizminister, stellte das Strafverfahren gegen den Kanzler wegen uneidlicher Falschaussage ein. Begründung: man könne ihm nicht nachweisen, dass er sich erinnert habe. Insofern sei keine vorsätzliche Lüge zu beweisen.

Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht am 17. Juli 1984 in Urteil 2 BvE 11, 15/83 (1, 2) im Zuge der Flick-Affäre das vom Grundgesetz garantierte Kontrollrecht des Parlaments – konkret: das Recht auf Akteneinsicht bei der Regierung – der einfachen Gesetzgebung untergeordnet. Die Verfassungsrichter (die erst ab dem Jahre 2017 überhaupt verfassungsgemäß gewählt wurden) urteilten, dass

„auf Aktenherausgabeverlangen … gemäß Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG die Vorschrift der § 96 StPO“

Anwendung fände. Dieser Paragraph der Strafprozessordnung besagt heute wie damals:

„Die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte darf nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, daß das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde.“

Ausdrücklich erklärten die Verfassungsrichter in ihrem Urteil zur Flick-Affäre, darunter falle auch das Steuergeheimnis.

Um diese faktische Unterordnung des Parlaments unter die Erklärungen von Regierungsfunktionären und deren Meinung was das Wohl des Staates sei zu begründen, schufen die Verfassungsrichter in ihrem Urteil den Begriff „exekutive Eigenverantwortung“. Später wurde daraus in weiteren Karlsruher Urteilen der Rechtsbegriff „Staatswohl“ geformt.

Der Kanzler Helmut Kohl wurde übrigens nicht nur durch 1984 durch den Untergebenen seines Untergebenen (den Generalbundesanwalt) laufen gelassen, sondern ebenso durch seinen Nachfolger Gerhard Schröder und dessen rot-grüne Regierung, sowie deren Mehrheit im Parlament ab 1998.

Als in einer weiteren (und eventuell mit der Flick-Affäre zusammenhängenden) „Spenden“-Affäre um die schwarzen Kassen der C.D.U. sich ex-Kanzler Kohl schlicht weigerte, die „Spender“ seiner Partei zu nennen oder sich im betreffenden Untersuchungsausschuss auch nur vereidigen zu lassen, passierte gar nichts. Aus „Juristenkreisen“ hieß es, es sei nicht einmal klar, ob ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss Zeugen überhaupt vereidigen dürfe.

Betreffend des Oktoberfest-Attentats von 1980 ließen sich Parlament bzw alle darin vertretenen Abgeordneten und Parteien erst einmal 34 Jahre Zeit. Dann reichte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Oktober 2014 eine Kleine Anfrage an die Regierung ein, u.a. zur potentiellen Verwicklung staatlicher (exekutiver) Stellen und deren Kontaktpersonen („Vertrauensleute“) in das Attentat. Im Januar 2015 reichten sie noch eine Anfrage ein.

Als die Regierung beide nicht vollständig beantwortete, reichte die grüne Bundestagsfraktion schließlich Klage auf vollständige Beantwortung beim Bundesverfassungsgericht ein.

2017 dann das Urteil – abgelehnt! Begründung: „Gefährdung des Staatswohls und .. Grundrechte verdeckt handelnder Personen“.

29.01.2021 - 18:47 [ Heise.de ]

Streit um Geheimdienstkontrolle

André Hahn, der für die Linksfraktion im PKGr sitzt, wurde in seiner Kritik noch deutlicher: Die Bundesregierung wolle sich die Mitglieder des von ihr vorgeschlagenen Kontrollrats „auch noch selbst aussuchen“, sagte er mit Blick auf die Ernennung von Bundesanwälten. Die Personalien schlägt der jeweilige Bundesjustizminister vor, ernannt werden sie bei Zustimmung des Bundesrats vom Bundespräsidenten.

29.01.2021 - 18:33 [ Tagesschau.de ]

Neues Gesetz im Bundestag: Dem BND auf die Finger geschaut

Kernelement ist ein neuer Unabhängiger Kontrollrat, zusammengesetzt aus sechs Bundesrichterinnen oder -richtern, oder Bundesanwältinnen und -anwälten, jeweils vorgeschlagen vom Präsidenten des Bundesgerichtshofs oder vom Generalbundesanwalt.

14.12.2020 - 06:33 [ Radio Utopie ]

„Strategische Überwachung der Telekommunikation“: Die verschwiegene Infrastruktur der Totalüberwachung

(16.03.2015)

Seit Mitte der 90er hat sich innerhalb der beginnenden Berliner Republik der Staat von allen großen Telekommunikations-Firmen Spionage-Einrichtungen vor Ort installieren lassen. Keine Partei, keine Parlamentarier, keine Staatsanwaltschaft, keine Bürgerrechtsorganisationen und fast keine Programmierer oder Journalisten haben dies jemals zum Thema gemacht, sondern laufen davor weg.

Wie Radio bereits berichtete, verfügte die Fernmeldeverkehrüberwachungsverordnung (FÜV) der Regierung vom 18. Mai 1995, dass „jeder, der eine Fernmeldeanlage, die für den öffentlichen Verkehr bestimmt ist, betreibt..die Überwachung und Aufzeichnung des gesamten Fernmeldeverkehrs“ durch den Staat zu ermöglichen hat – durch in den eigenen Anlagen eingebaute „technische Schnittstellen“.

Das betraf in 1995 primär die gerade entstaatlichte bzw kommerzialisierte Deutsche Bundespost (heute: Deutsche Telekom AG) als damals einzigen Versorger („Provider“) von Telefon und Frühform des Internets.

Wie Radio Utopie ebenfalls bereits berichtete, verpflichtet heute – zwanzig Jahre später – die der FÜV nachfolgende Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV, „Verordnung über die technische und organisatorische Umsetzung von Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation”) die Internet- und Telefon-Versorger nicht nur zur Installation von Spionage-Einrichtungen für Polizei, Militär, Behörden, Geheimdienste in Bund und Ländern (§§ 100a, 100b Strafprozessordnung, § 3 Artikel 10-Gesetz, §§ 23a bis 23c Zollfahndungsdienstgesetz und Landesrecht), sondern beinhaltet auch

„Verpflichtungen zur Duldung der Aufstellung von technischen Einrichtungen für Maßnahmen der strategischen Kontrolle nach § 5 oder § 8 des Artikel 10-Gesetzes sowie des Zugangs zu diesen Einrichtungen“ .

14.12.2020 - 06:30 [ Bundesgesetzblatt - bgbl.de ]

Verordnung über die technische Umsetzung von Überwachungsmaßnahmen des Fernmeldeverkehrs in Fernmeldeanlagen, die für den öffentlichen Verkehr bestimmt sind Fernmeldeverkehr-Überwachungsverordnung (FÜV) vom 18. Mai 1995

Auf Grund des § 10b Satz 2 des Gesetzes über Fernmeldeanlagen in der Fassung der Bekanntmachung von 3. Juli 1989 (BGBl. l S. 1455), der durch Artikel 5 Nr 11 des Gesetzes zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation vom 19. September 1994 (BGBl. l S. 2325) eingefügt worden ist, verordnet die Bundesregierung ……………

10.12.2020 - 14:37 [ Radio Utopie ]

Warum der Staat potentiell jedes Verbrechen ungestraft begehen kann

(21.02.2020)

Wir haben bereits dargelegt, warum es in Deutschland keine unabhängige Justiz und damit keine vollständige Gewaltenteilung gibt – weil das Grundgesetz den Staat nicht ausdrücklich dazu zwingt. Das Grundgesetz schreibt dem Staat lediglich die Unabhängigkeit der Richter vor, nicht die der Justiz insgesamt. Daraus interpretiert der Staat für sich das Recht, die Staatsanwaltschaften bzw Ankläger der Exekutive anzugliedern.

Auf Bundesebene heißt das konkret: der Generalbundesanwalt und seine Behörde (allgemein Bundesanwaltschaft) unterstehen dem Justizminister. Daraus schlussfolgert, dass nach eventuellen Staatsverbrechen und / oder Verfassungsbrüchen durch ihre eigenen Organe – Kanzleramt, Ministerien, Behörden, Militär, Geheimdienste, etc, – die Regierung gegen sich selbst ermitteln müsste.

Zieht also die Bundesanwaltschaft bzw der Generalbundesanwalt ein Verfahren an sich, zieht es die Regierung an sich.

Verbleibt noch die Möglichkeit, dass das Parlament Untersuchungsausschüsse einsetzt, dass durch diese die betreffenden Staatsverbrechen aufgeklärt und dann öffentlich bekannt werden, dem folgend durch Wahlen eine Änderung der parlamentarischen Mehrheiten erfolgt, dann eine Neuwahl des Kanzlers / der Kanzlerin durch das Parlament, dann durch den Kanzler / die Kanzlerin eine Ernennung eines neuen Justizministers erfolgt (Minister / Ministerinnen werden nicht gewählt), dann durch den Justizminister / die Justizministerin eine Ernennung eines neuen Generalbundesanwalts oder eine Anweisung an den amtierenden Generalbundesanwalt erfolgt Ermittlungen gegen die damaligen oder immer noch amtierenden staatlichen Funktionäre bzw Stellen aufzunehmen und dass dieser dann der Anweisung des vorgesetzten Justizministers folgt. Wobei dann ggf die Ermittlungen durch die Regierungsbehörden (Geheimdienste, Bundeskriminalamt) erfolgen müsste, gegen die ermittelt wird.

Vor bald 40 Jahren wurde in Westdeutschland das Oktoberfest-Attentat verübt, kurz vor der Bundestagswahl. (20. Juni 2008, DER TERROR-STAAT: Das Oktoberfest-Attentat von München)

Ein Jahr später, 1981, wurde durch einen einzigen hartnäckigen Steuerfahnder bekannt, dass seit den 70er Jahren durch den Flick-Konzern an Abgeordnete von allen Parteien, sowie an Regierungsfunktionäre, hohe Summen transferiert worden waren (Flick-Affäre). Vor einem schließlich 1984 vom Bundestag eingesetzten Untersuchungsausschuss log der amtierende Bundeskanzler Helmut Kohl und behauptete nichts über Flicks Geldwaschanlage „Staatsbürgerliche Vereinigung“ gewusst zu haben (die Aktenlage bewies das Gegenteil).

Der damalige Generalbundesanwalt, der Untergebene von Kohls untergebenem Justizminister, stellte das Strafverfahren gegen den Kanzler wegen uneidlicher Falschaussage ein. Begründung: man könne ihm nicht nachweisen, dass er sich erinnert habe. Insofern sei keine vorsätzliche Lüge zu beweisen.

Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht am 17. Juli 1984 in Urteil 2 BvE 11, 15/83 (1, 2) im Zuge der Flick-Affäre das vom Grundgesetz garantierte Kontrollrecht des Parlaments – konkret: das Recht auf Akteneinsicht bei der Regierung – der einfachen Gesetzgebung untergeordnet. Die Verfassungsrichter (die erst ab dem Jahre 2017 überhaupt verfassungsgemäß gewählt wurden) urteilten, dass

„auf Aktenherausgabeverlangen … gemäß Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG die Vorschrift der § 96 StPO“

Anwendung fände. Dieser Paragraph der Strafprozessordnung besagt heute wie damals:

„Die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte darf nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, daß das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde.“

Ausdrücklich erklärten die Verfassungsrichter in ihrem Urteil zur Flick-Affäre, darunter falle auch das Steuergeheimnis.

Um diese faktische Unterordnung des Parlaments unter die Erklärungen von Regierungsfunktionären und deren Meinung was das Wohl des Staates sei zu begründen, schufen die Verfassungsrichter in ihrem Urteil den Begriff „exekutive Eigenverantwortung“. Später wurde daraus in weiteren Karlsruher Urteilen der Rechtsbegriff „Staatswohl“ geformt.

Der Kanzler Helmut Kohl wurde übrigens nicht nur durch 1984 durch den Untergebenen seines Untergebenen (den Generalbundesanwalt) laufen gelassen, sondern ebenso durch seinen Nachfolger Gerhard Schröder und dessen rot-grüne Regierung, sowie deren Mehrheit im Parlament ab 1998.

Als in einer weiteren (und eventuell mit der Flick-Affäre zusammenhängenden) „Spenden“-Affäre um die schwarzen Kassen der C.D.U. sich ex-Kanzler Kohl schlicht weigerte, die „Spender“ seiner Partei zu nennen oder sich im betreffenden Untersuchungsausschuss auch nur vereidigen zu lassen, passierte gar nichts. Aus „Juristenkreisen“ hieß es, es sei nicht einmal klar, ob ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss Zeugen überhaupt vereidigen dürfe.

Betreffend des Oktoberfest-Attentats von 1980 ließen sich Parlament bzw alle darin vertretenen Abgeordneten und Parteien erst einmal 34 Jahre Zeit. Dann reichte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Oktober 2014 eine Kleine Anfrage an die Regierung ein, u.a. zur potentiellen Verwicklung staatlicher (exekutiver) Stellen und deren Kontaktpersonen („Vertrauensleute“) in das Attentat. Im Januar 2015 reichten sie noch eine Anfrage ein.

Als die Regierung beide nicht vollständig beantwortete, reichte die grüne Bundestagsfraktion schließlich Klage auf vollständige Beantwortung beim Bundesverfassungsgericht ein.

2017 dann das Urteil – abgelehnt! Begründung: „Gefährdung des Staatswohls und .. Grundrechte verdeckt handelnder Personen“.

08.07.2020 - 09:07 [ Radio Utopie ]

Warum der Staat potentiell jedes Verbrechen ungestraft begehen kann

(21.02.2020)

Wir haben bereits dargelegt, warum es in Deutschland keine unabhängige Justiz und damit keine vollständige Gewaltenteilung gibt – weil das Grundgesetz den Staat nicht ausdrücklich dazu zwingt. Das Grundgesetz schreibt dem Staat lediglich die Unabhängigkeit der Richter vor, nicht die der Justiz insgesamt. Daraus interpretiert der Staat für sich das Recht, die Staatsanwaltschaften bzw Ankläger der Exekutive anzugliedern.

Auf Bundesebene heißt das konkret: der Generalbundesanwalt und seine Behörde (allgemein Bundesanwaltschaft) unterstehen dem Justizminister. Daraus schlussfolgert, dass nach eventuellen Staatsverbrechen und / oder Verfassungsbrüchen durch ihre eigenen Organe – Kanzleramt, Ministerien, Behörden, Militär, Geheimdienste, etc, – die Regierung gegen sich selbst ermitteln müsste.

Zieht also die Bundesanwaltschaft bzw der Generalbundesanwalt ein Verfahren an sich, zieht es die Regierung an sich.

Verbleibt noch die Möglichkeit, dass das Parlament Untersuchungsausschüsse einsetzt, dass durch diese die betreffenden Staatsverbrechen aufgeklärt und dann öffentlich bekannt werden, dem folgend durch Wahlen eine Änderung der parlamentarischen Mehrheiten erfolgt, dann eine Neuwahl des Kanzlers / der Kanzlerin durch das Parlament, dann durch den Kanzler / die Kanzlerin eine Ernennung eines neuen Justizministers erfolgt (Minister / Ministerinnen werden nicht gewählt), dann durch den Justizminister / die Justizministerin eine Ernennung eines neuen Generalbundesanwalts oder eine Anweisung an den amtierenden Generalbundesanwalt erfolgt Ermittlungen gegen die damaligen oder immer noch amtierenden staatlichen Funktionäre bzw Stellen aufzunehmen und dass dieser dann der Anweisung des vorgesetzten Justizministers folgt. Wobei dann ggf die Ermittlungen durch die Regierungsbehörden (Geheimdienste, Bundeskriminalamt) erfolgen müsste, gegen die ermittelt wird.

Vor bald 40 Jahren wurde in Westdeutschland das Oktoberfest-Attentat verübt, kurz vor der Bundestagswahl. (20. Juni 2008, DER TERROR-STAAT: Das Oktoberfest-Attentat von München)

Ein Jahr später, 1981, wurde durch einen einzigen hartnäckigen Steuerfahnder bekannt, dass seit den 70er Jahren durch den Flick-Konzern an Abgeordnete von allen Parteien, sowie an Regierungsfunktionäre, hohe Summen transferiert worden waren (Flick-Affäre). Vor einem schließlich 1984 vom Bundestag eingesetzten Untersuchungsausschuss log der amtierende Bundeskanzler Helmut Kohl und behauptete nichts über Flicks Geldwaschanlage „Staatsbürgerliche Vereinigung“ gewusst zu haben (die Aktenlage bewies das Gegenteil).

Der damalige Generalbundesanwalt, der Untergebene von Kohls untergebenem Justizminister, stellte das Strafverfahren gegen den Kanzler wegen uneidlicher Falschaussage ein. Begründung: man könne ihm nicht nachweisen, dass er sich erinnert habe. Insofern sei keine vorsätzliche Lüge zu beweisen.

Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht am 17. Juli 1984 in Urteil 2 BvE 11, 15/83 (1, 2) im Zuge der Flick-Affäre das vom Grundgesetz garantierte Kontrollrecht des Parlaments – konkret: das Recht auf Akteneinsicht bei der Regierung – der einfachen Gesetzgebung untergeordnet. Die Verfassungsrichter (die erst ab dem Jahre 2017 überhaupt verfassungsgemäß gewählt wurden) urteilten, dass

„auf Aktenherausgabeverlangen … gemäß Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG die Vorschrift der § 96 StPO“

Anwendung fände. Dieser Paragraph der Strafprozessordnung besagt heute wie damals:

„Die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte darf nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, daß das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde.“

Ausdrücklich erklärten die Verfassungsrichter in ihrem Urteil zur Flick-Affäre, darunter falle auch das Steuergeheimnis.

Um diese faktische Unterordnung des Parlaments unter die Erklärungen von Regierungsfunktionären und deren Meinung was das Wohl des Staates sei zu begründen, schufen die Verfassungsrichter in ihrem Urteil den Begriff „exekutive Eigenverantwortung“. Später wurde daraus in weiteren Karlsruher Urteilen der Rechtsbegriff „Staatswohl“ geformt.

Der Kanzler Helmut Kohl wurde übrigens nicht nur durch 1984 durch den Untergebenen seines Untergebenen (den Generalbundesanwalt) laufen gelassen, sondern ebenso durch seinen Nachfolger Gerhard Schröder und dessen rot-grüne Regierung, sowie deren Mehrheit im Parlament ab 1998.

Als in einer weiteren (und eventuell mit der Flick-Affäre zusammenhängenden) „Spenden“-Affäre um die schwarzen Kassen der C.D.U. sich ex-Kanzler Kohl schlicht weigerte, die „Spender“ seiner Partei zu nennen oder sich im betreffenden Untersuchungsausschuss auch nur vereidigen zu lassen, passierte gar nichts. Aus „Juristenkreisen“ hieß es, es sei nicht einmal klar, ob ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss Zeugen überhaupt vereidigen dürfe.

Betreffend des Oktoberfest-Attentats von 1980 ließen sich Parlament bzw alle darin vertretenen Abgeordneten und Parteien erst einmal 34 Jahre Zeit. Dann reichte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Oktober 2014 eine Kleine Anfrage an die Regierung ein, u.a. zur potentiellen Verwicklung staatlicher (exekutiver) Stellen und deren Kontaktpersonen („Vertrauensleute“) in das Attentat. Im Januar 2015 reichten sie noch eine Anfrage ein.

Als die Regierung beide nicht vollständig beantwortete, reichte die grüne Bundestagsfraktion schließlich Klage auf vollständige Beantwortung beim Bundesverfassungsgericht ein.

2017 dann das Urteil – abgelehnt! Begründung: „Gefährdung des Staatswohls und .. Grundrechte verdeckt handelnder Personen“.

19.05.2020 - 17:29 [ Tagesschau ]

Abhören erlaubt – in engeren Grenzen

Laut Harbarth bedarf es bei der Übermittlung an ausländische Stellen der Vergewisserung über die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards auf Empfängerseite.

Das heißt: Wenn es Anhaltspunkte gibt, dass ein Mensch dadurch konkret gefährdet wird, muss die Behörde nochmal genau hinsehen und die Weitergabe gut begründen können.

19.05.2020 - 11:14 [ Bundesverfassungsgericht ]

Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach dem BND-Gesetz verstößt in derzeitiger Form gegen Grundrechte des Grundgesetzes

Pressemitteilung Nr. 37/2020 vom 19. Mai 2020

19.05.2020 - 11:10 [ Netzpolitik.org ]

Bundesverfassungsgericht Das neue BND-Gesetz ist verfassungswidrig

Das BND-Gesetz verstößt gegen Grundrechte und ist grundrechtswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht heute geurteilt. Grundrechte gelten nicht nur in Deutschland, sondern deutsche Behörden müssen sich auch im Ausland daran halten.

19.05.2020 - 10:19 [ Daniel Neun / Twitter ]

@BVerfG zu BND-Kopieren bei Providern / Internetknoten (Verordnung TKÜV seit 2002): weitermachen. („Teile“ von BND-Gesetz verfassungswidrig, die gelten aber weiter bis Ende 2021, blabla, jaja..)

19.05.2020 - 09:44 [ ZDF Morgenmagazin / Twitter ]

Darf der Bundesnachrichtendienst BND überall auf der Welt ausländische Telefonate und Emails ohne konkreten Verdacht mithören und mitlesen? Dazu fällt das Bundesverfassungsgericht heute ein Urteil.