Eine herrschende Gruppe ist so lange eine herrschende Gruppe, als sie ihre Nachfolger bestimmen kann. Der Partei geht es nicht darum, ewig ihr Blut, sondern sich selbst ewig zu behaupten. Wer die Macht ausübt, ist nicht wichtig, vorausgesetzt, daß die hierarchische Struktur immer dieselbe bleibt.
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Von den Proletariern ist nichts zu befürchten. Sich selbst überlassen, werden sie von Generation zu Generation und von Jahrhundert zu Jahrhundert fortfahren zu arbeiten, Kinder in die Welt zu setzen und zu sterben, nicht nur ohne jeden Antrieb, zu rebellieren, sondern ohne sich auch nur vorstellen zu können, daß die Welt anders sein könnte, als sie ist. Zudem sind sie ein geistloser Brei ohne jede Art von Führung. Sie könnten nur gefährlich werden, wenn die fortschreitende Entwicklung der industriellen Technik es notwendig machen sollte, ihnen eine höhere Erziehung angedeihen zu lassen; aber da die militärische und merkantile Konkurrenz keine Bedeutung mehr hat, ist das Niveau der öffentlichen Erziehung im Sinken begriffen.
Welche Ansichten die Massen vertreten oder nicht vertreten, wird als belanglos angesehen. Man darf ihnen getrost geistige Freiheit einräumen, denn sie haben keinen Geist. Andererseits kann bei einem Parteimitglied auch nicht die kleinste Meinungsabweichung in der unbedeutendsten Frage geduldet werden. Ein Angehöriger der Partei lebt von der Geburt bis zum Tode unter den Augen der Gedankenpolizei. Sogar wenn er allein ist, kann er nie sicher sein, ob er wirklich allein ist. Wo er auch sein mag, ob er schläft oder wacht, arbeitet oder ausruht, in seinem Bad oder in seinem Bett liegt, kann er ohne Warnung und ohne zu wissen, daß er beobachtet wird, beobachtet werden. Nichts, was er tut, ist gleichgültig. Seine Freundschaften, seine Zerstreuungen, sein Benehmen gegen seine Frau und seine Kinder, sein Gesichtsausdruck, wenn er allein ist, die von ihm im Schlaf gemurmelten Worte, sogar die ihm eigentümlichen Bewegungen seines Körpers, alles wird einer peinlich genauen Prüfung unterzogen. Nicht nur jedes wirkliche Vergehen, sondern jede Schrullenhaftigkeit, sie mag noch so unbedeutend sein, jede Gewohnheitsänderung, jede nervöse Absonderlichkeit, die möglicherweise das Symptom eines inneren Kampfes ist, können unweigerlich entdeckt werden.