(18. November 2012)
1991 waren die Sowjetunion und die Diktaturen in ihrem Einflussbereich zusammengebrochen. Aus dem größten Teil der Sowjetunion entstand die Föderation Russland mit ihrem Präsidenten Boris Jelzin.
1992 erlangte ein Essay kurze Berühmtheit. Geschrieben wurde es von einem damaligen Architekten der Reagan-Doktrin der 80er Jahre: Francis Fukuyama. Das Buch trug den Titel „Das Ende der Geschichte und der Letzte Mensch“ („The End of History and the Last Man“). In ihm prognostizierte Fukuyama, dass sich die Idee eines gemäßigten, nicht marktradikalen Liberalismus und parlamentarische Demokratie weltweit durchsetzen würden. In späteren Jahren distanzierte er sich von den Neokonservativen, zu deren Aufstieg er selbst beigetragen hatte, und warnte ausdrücklich vor dem beginnenden eugenischen Zeitalter der genetischen Manipulation und ihrer Apologeten aus der „Transhumanisten“-Bewegung (mit denen sich Radio Utopie noch näher beschäftigen wird).
Adam Curtis / „The Trap“
„Heraus kam ein revolutionärer Versuch die Welt umzubauen. Die Absicht war ein Utopia zu schaffen, basierend auf der Idee von ´negativer Freiheit`. Es würde eine Welt sein, in der alle Individuen frei sein würden zu tun, was sie wollten, nicht mehr länger unter Zwang von Eliten oder Tyrannen. Es würde der Triumph sein von Isaiah Berlins Idee von Freiheit. Und es wurde in Russland beginnen.
In 1992 hatte die amerikanische Regierung den ´Freedom Support Act´ verabschiedet. Sein Zweck war Russland zu helfen sich umzubauen. Neben Millionen von Dollars an Hilfen kam eine Gruppe junger Berater, Ökonomen und politischen Theoretikern, die eine radikale Vision von dem hatten, was notwendig wäre; sie nannten diese ´Schock-Therapie`. Die Absicht war alle staatliche Kontrolle über die russische Wirtschaft aufzuheben..alle Subventionen wurden gestrichen und die gesamte staatliche Industrie über Nacht privatisiert. Ihr Anführer war ein Harvard-Ökonom mi Namen Jeffrey Sachs. (..)
Die Amerikaner verbündeten sich mit einer Gruppe von radikalen Freimarkthändlern um Jelzin. Zusammen entwickelten sie einen Plan. Ihm zugrunde lag eine Theorie, wie man durch die Erschaffung neuer Menschen die Gesellschaft transformieren könne. Wie die Sendungen der letzten Wochen gezeigt haben, war es die gleiche Theorie, die hinter dem Aufstieg der sogenannten „Marktdemokratie“ in Britannien und Amerika in den 80ern gestanden hatte. Die Theorie besagte, dass, wenn man alle elitären Institutionen zerstören würde die in der Vergangenheit den Menschen gesagt hatten was sie tun sollten und stattdessen den Individuen erlauben würde unabhängig im Markt zu sein, sie eine neue Art rationaler Wesen werden würden, wählend was sie wollen. Daraus entstehen würde eine neue Form der Ordnung und eine neue Art der Demokratie, in der die Märkte, nicht Politik, den Menschen geben würden was sie wollen.“
Was in Russland ab 1992 geschah, war folgendes: Das üppige Staatseigentum, Erbe des einstigen „Volkseigentums“ der Sowjetunion, wurde weltweit an Kapitalgesellschaften oder an verbündete inländische Betrüger verscherbelt („privatisiert“). Staatliche Sicherungssysteme – Gesundheitsversorgung, Energieversorgung, Wasserversorgung, Renten, etc, etc – wurden vernichtet, Preise freigegeben (zum Explodieren) und die im Umlauf befindliche Geldmenge drastisch reduziert (um dafür die Vermögensinflation in babelsche Ausmaße wachsen zu lassen). Die Rohstoffe Russlands wurden für ein Taschengeld zur Ausbeutung durch internationale Konzerne freigegeben. In atemberaubenden Tempo stürzte die überwältigende Mehrheit der Russen in extreme Armut, während eine winzige Clique von Oligarchen um Jelzin zu gigantischem Reichtum kam.
Schon ein Jahr später war Russland im Chaos versunken. Das Parlament rebellierte. Jelzin löste es einfach auf, ohne irgendeine Rechtsgrundlage. Sein Vizepräsident Ruzkoi widersprach. Jelzin setzte ihn ebenfalls ab. Die Abgeordneten wählten daraufhin, gemäß der russischen Verfassung, Ruzkoi zum neuen Präsidenten und erklärten Jelzin für abgesetzt. Als der Machtkampf eskalierte, verbarrikadierten sich 100 Abgeordnete im Parlament, damals noch der Oberste Rat („Sowjet“). Jelzin ließ das Parlament belagern, mit Panzern beschießen und schließlich durch eine regimtreue Eliteeinheit stürmen. Bei den Kämpfen in Moskau und anderen Städten starben über 180 Menschen. Russland stand kurz vor einem Bürgerkrieg.
Durch massive Hilfe seiner Oligarchen schaffte es Jelzin Ende 1993 seine auf ihn zugeschnittene Verfassung und ein Zwei-Kammer-Parlamentssystem durchzubekommen. 1996 wurde er, obwohl das Land wirtschaftlich am Boden lag, wie durch ein nicht existierendes Wirtsschaftswunder wiedergewählt. „Internationaler Währungsfonds“ und „Weltbank“ hatten sich in Moskau eingenistet und diktierten die russische Finanzpolitik und damit auch alles andere. Jelzin kürzte, geradezu vorausschauend für alle weiteren nachfolgenden Supereuropäer, sämtliche Staatsausgaben und nahm dem Volk noch mehr weg – für das Vertrauen der Märkte.
Am 14. August 1998 stürzte Russland in den Staatsbankrott (wie allgemein bekannt, tat sich nicht die Wolga auf und verschlang Russland mit einem Happs, wie zuvor seine Rettettettetter aus Washington). Der Rubel wertete ab und eine Menge an irrsinnig zustande gekommenen Auslandsschulden wurde einfach nicht bezahlt. Die russischen Bürger die noch über Guthaben verfügten stürmten die Banken, die meisten Banken brachen zusammen.
Ende 1999 übergab Jelzin, der wegen Alkoholismus kaum mehr laufen oder sprechen konnte, an den zuvor noch eingesetzten Ministerpräsidenten Wladimir Putin. Der erhöhte den Militäretat um 50 Prozent und begann den zweiten Tschetschenienkrieg, was ihm beim Volk ungemein Respekt einbrachte.
Endlich mal wieder gewinnen.