13.03.2018 - 22:15 [ marcuse.org ]

Herbert Marcuse: „Repressive Toleranz“

Die Kräfte der Emanzipation lassen sich nicht mit einer gesellschaftlichen Klasse gleichsetzen, die aufgrund ihrer materiellen Lage von falschem Bewußtsein frei ist. Heute sind sie hoffnungslos über die Gesellschaft zerstreut, und die kämpfenden Minderheiten und isolierten Gruppen stehen oft in Opposition zu ihrer eigenen Führung. In der Gesamtgesellschaft muß der geistige Raum für Verneinung und Reflexion erst wiederhergestellt werden. Zurückgeworfen durch die verwaltete Gesellschaft, wird die Anstrengung zur Emanzipation »abstrakt«; sie wird darauf reduziert, die Anerkennung dessen zu erleichtern, was geschieht, die Sprache von der Tyrannei der Orwellschen Syntax und Logik zu befreien, die Begriffe zu entwickeln, welche die Realität erfassen. Mehr denn je gilt der Satz, daß Fortschritt in der Freiheit Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit erfordert. Wo der Geist zum Subjekt-Objekt der Politik und ihrer Praktiken gemacht worden ist, ist geistige Autonomie, die Anstrengung des reinen Denkens, eine Sache politischer Erziehung (oder vielmehr: Gegenerziehung) geworden.