20.06.2014 - 10:56 [ Andrej Hunko, Mitglied des Bundestages ]

Betreff Kleine Anfrage des Abgeordneten Andrej Hunko .. Computergestütztes Aufspüren von unerwünschtem Verhalten im öffentlichen Raum BT-Drucksache 18/540

(3. März 2014) Vorbemerkung der Fragesteller:
Die Industrie hat mittlerweile zahllose „Sensoren“ entwickelt, mit denen der öffentliche Raum überwacht werden kann. Hierzu gehören Videokameras, die mittlerweile in einer neuen Generation montiert werden und hochauflösende Bilder liefern, sowie neuere bildgebende Verfahren (das sogenannte „Maschinensehen“). Hinzu kommen Mikrofone und Bewegungsmelder, aber auch Gasdetektoren zum Aufspüren gefährliche Stoffe oder erhöhtem Alkoholgehalt im Fußballstadion. Für die Verarbeitung der Daten werden große Kapazitäten benötigt. Hier sollen computergestützte Verfahren abhelfen.

So können als „verdächtig“ eingestufte Bewegungsabläufe, Geräusche oder Gerüche herausgefiltert werden.

Im Falle eines „Treffers“ erhält der Bediener eine Ereignismeldung. Vor einigen Jahren ist hierzu das EU-Forschungsprogramm INDECT bekannt geworden. Dessen Teilnehmerinnen und Teilnehmer entwickeln eine Plattform, um Bilder aus der Videoüberwachung mit Polizeidatenbanken und dem Internet abzugleichen. Berechtigterweise hat das diesen Sommer endende Projekt viel Kritik auf sich gezogen: Bürgerrechtsgruppen und Netzaktivisten hatten INDECT als „Bevölkerungsscanner“ kritisiert (Bundestagsdrucksache 17/3940). Mehrere Polizeibehörden interessieren sich für das Ergebnis von INDECT, das ebenfalls beteiligte Bundeskriminalamt (BKA) war allerdings ausgestiegen – angeblich wegen des „umfassenden Überwachungsgedankens“ (Pressemitteilung, 13. Oktober 2011).

Nun finanziert die EU-Kommission weitere Forschungsvorhaben mit ähnlicher Zielsetzung. Wieder steht die Auswertung möglichst vieler Quellen im Mittelpunkt, darunter neben der Überwachung öffentlicher Orte auch Soziale Medien. Die Plattformen sollen polizeilich relevante Vorfälle auch vorhersagen. Eines der neueren EU-Programme trägt den Namen PROACTIVE. Der Name markiert einen neuen Trend in der Strafverfolgung: Im Gegensatz zu „Prävention“ soll die die „proaktive Verbrechensbekämpfung“ greifen, wenn die vermeintliche „Bedrohung“ noch gar nicht in Sicht ist. Damit schlägt sich das Konzept von „Gefährdern“ bzw. „Gefahrengebieten“ nach Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller auch in der Sicherheitsforschung nieder.

Die Rede ist von „vorhersagenden Schlussfolgerungen und der Einbindung mehrerer Quellen“, als Ziel wird eine „Verhinderung terroristischer Angriffe in städtischer Umgebung“ ausgegeben.

Im Originaltitel wird das Wort „Fusion“ benutzt. Gemeint ist die statistische Auswertung polizeilicher Daten in Verbindung mit Informationen von „Sensoren“, die über die ganze Stadt verteilt sein können.

Besondere Aufmerksamkeit wird aber dem „Internet der Dinge“ zuteil. Gewöhnlich werden damit technische Alltagshelfer bezeichnet, die über eine Netzwerkverbindung verfügen. In PROACTIVE sollen sie der Polizei der Verhaltenskontrolle ihrer Nutzerinnen und Nutzer dienen. Diese Art von des Zusammenführens von Daten mehrerer Quellen, ist in Deutschland derzeit allerdings nur im Rahmen von Ermittlungen gestattet.

Die Europäische Union (EU) finanziert deshalb rechtliche und ethische Forschungen, um die Gesetzeslage in den Mitgliedstaaten zu analysieren und mit den neuen Technologien zu synchronisieren. PROACTIVE wird angeführt vom italienischen Konzern Vitrociset, der auf zivile und militärische Oberwachungs- und Transportsysteme spezialisiert ist. Ebenfalls an Bord ist die polnische University of Science and Technology mit Sitz in Krakau, deren Forscher bereits an INDECT geforscht hatten. Unter den Beteiligten findet sich aber auch die Universität der Bundeswehr in München. Die kurze Beschreibung über die Mitarbeit der deutschen Militärforscher lässt darauf schließen, dass die in PROACTIVE entwickelte Plattform auch Drohnen einbinden könnte — oder aber deren autonome Fähigkeit, schnell Entscheidungen zu treffen. Zuständig ist das Institut für Flugsysteme, dessen Arbeiten zur künstlichen Intelligenz unbemannter Luftfahrzeuge durch PROACTIVE gelobt werden. Diese seien geeignet, eine Situation schnell einzuschätzen und Entscheidungshilfen zu geben.

Für die Anwendung von PROACTIVE interessieren sich Polizeibehörden und Geheimdienste aus Finnland, Zypern, Ungarn, Rumänien und Polen, aber auch das in Italien ansässige Crime and Justice Research Institute (UNICRI).

Das UNICRI ist bei den Vereinten Nationen angesiedelt und beschäftigt sich insbesondere mit Forschungen zur Beherrschbarkeit von Sportereignissen oder Gipfelprotesten. Auch das Bayerische Landeskriminalamt hat mindestens zweimal an Workshops von „Endnutzern“ teilgenommen.

Während sich PROACTIVE mit „terroristischen Angriffen“ befasst. soll das EU-Programm CAPER die „organisierte Kriminalität“ proaktiv adressieren. Der Titel lässt sich als „Gemeinschaftliche Information, Beschaffung, Verarbeitung, Verwertung und Meldung zur Vorbeugung organisierter Kriminalität“ übersetzen. Das System soll Informationstechnologie ausforschen und auswerten.

Hierzu gehört insbesondere die „Open Source Inteligence“ (OSINT) des Internets. Gemeint sind öffentlich zugängliche Daten von Webseiten und Sozialen Medien.

Angeführt vom auf Sicherheitsanwendungen spezialisierten
Softwarehaus S21sec macht auch das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung 1GD bei CAPER mit. Das Institut erklärt zur Funktionsweise der Plattform, die gewonnenen Daten würden „semantisch analysiert und visuell so aufbereitet, dass Zusammenhänge oder besondere Ereignisse erkannt werden können“. CAPER will Informationen von Diensten wie Twitter mit sogenannter „Close Source Intelligence“ verbinden. Hinter dem Begriff verbergen sich auch Informationen, die in Polizeidatenbanken lagern.

Diese polizeilichen Daten könnten dann mit Analysesystemen verknüpft werden, die Bilder, Videos, verschiedene Sprachen und biometrische Daten verarbeiten.

CAPER soll diese Rasterfahndung in verschiedenen Datenquellen derart vereinfachen, dass sie über ein simples Interface vorgenommen werden kann. Auf diese Weise wollen die Ermittler bislang unentdeckte Informationen finden. Schon seit Beginn waren die israelische Polizei und die Mossos d‘Esquadra aus Barcelona als „Endnutzer“ von CAPER registriert. Als neue Beobachter sind nun das britische Innenministerium, der rumänische Geheimdienst und das deutsche BKA an Bord. Dies ist also mindestens das zweite Vorhaben, in dem sich die Kriminalisten aus Wiesbaden mit dem Blick in die Glaskugel befassen