10.03.2012 - 10:11 [ Radio Utopie ]

Interview: Dr. Werner Rügemer zum Thema “Die Ursachen der Finanzkrise – oder warum wir die Staatsschulden nicht zurückzahlen sollten” (19. Dezember 2009)

„Die relative Regulierung des Finanzsystems, die nach der ersten Weltwirtschaftskrise 1928-1932 aufgebaut wurde, wurde seit Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts schrittweise abgeschafft, „dereguliert“. Die Führung lag bei den beiden Finanzzentren Wall Street und City of London, bei der englischen und der US-Regierung und natürlich bei den US-Banken, den US-Wirtschaftsprüfern und den US-Wirtschaftskanzleien. Alle europäischen Banken und Regierungen haben sich daran orientiert. Außerdem haben die US-Banken, -Wirtschaftsprüfer und -Kanzleien längst Niederlassungen in allen wichtigen Staaten.
Die wesentlichen allgemeinen Prinzipien dieser Deregulierung sind folgende:

1. Die Finanzakteure können durch gegenseitige Geschäfte (bei Banken heißen sie „Interbankengeschäfte“) Geld schöpfen, ohne von Zentralbankgeld abhängig zu sein und ohne von den Zentralbanken oder staatlichen Agenturen kontrolliert zu werden.
2. Diese Transaktionen werden nicht in den Bilanzen aufgeführt, sondern über „außerbilanzielle Zweckgesellschaften“ abgewickelt, die zudem meist in Finanzoasen wie dem US-Bundesstaat Delaware, auf den Cayman Islands usw. ihren juristischen Sitz haben; dadurch entgehen sie sogar den innerbetrieblichen Kontrollorganen wie den Aufsichtsräten, sind aber von den Wirtschaftsprüfern abgesegnet.
3. Diese Transaktionen, als „strukturierte Finanzprodukte“ bezeichnet, wurden durch ein selbstreferentielles System „renommierter“ Spezialisten abgesichert, zu dem die internen Manager der Finanzakteure sowie Ratingagenturen, Versicherungsgesellschaften, Anwälte, Wirtschaftsprüfer gehören; sie bestätigen sich gegenseitig, dass alles in bester Ordnung ist, die Versicherungen kassieren Prämien für eine mehr oder weniger fiktive Versicherung.

Deshalb sind die Produktbeschreibungen und Verträge hunderte, manchmal tausende Seiten dick.“