(Der folgende Beitrag wurde geschrieben für eine in Vorbereitung befindliche Festschrift für Peter Pawelka, die im Herbst 2007 erscheinen wird.) (..)
1993 traten erstmals die so genannten Bewaffneten Islamischen Gruppen (Groupes Islamiques Armés, GIA) in Erscheinung (Ruf 1998b: 31-33). Diese Gruppen bekämpften einerseits die AIS, andererseits wurden sie immer wieder für zahlreiche Anschläge verantwortlich gemacht. Vor allem wird ihnen die systematische Massakrierung von Bewohnern ganzer Stadtviertel und Dörfer zugeschrieben. Wie aber, um nur das Beispiel Bentalha (September 1997) zu nennen, war es möglich, dass solche bewaffnete Gruppen sechs bis sieben Stunden lang ein Wohnviertel der Außenbezirke von Algier terrorisieren und mehrere hundert Menschen abschlachten konnten, ohne dass die Ordnungskräfte eingreifen, obwohl ein Polizeiposten und sogar eine Kaserne nur wenige hundert Meter entfernt sind? Wie konnten die Mörderbanden auf mehreren Lastkraftwagen anfahren und auf diesen wieder verschwinden, obwohl das Militär rund um die Stadt Straßensperren eingerichtet hatte (vor allem Yous 2000)?
Auch stellt sich die Frage, wie es möglich ist, dass die Terroristen, die offensichtlich immer und überall zuschlagen können, wo sie dies nur wollen, in dem nun eineinhalb Jahrzehnte dauernden Konflikt an keiner Stelle die Tausende von Kilometern Erdgas- und Erdölpipelines angegriffen haben, die die finanzielle Nabelschnur des Regimes darstellen? Vieles am Agieren der Terrorgruppen der GIA bleibt unklar und widerspricht elementaren Regeln des Guerillakrieges: Warum sollten die islamistischen Kommandos gerade die Teile der Bevölkerung massakrieren, die in den Vororten der Großstädte bei den Kommunalwahlen der Jahre 1990 und 1991 mit 80 % und mehr für die Islamisten gestimmt hatten? Völlig untypisch für terroristische Bewegungen ist, dass die GIA nirgendwo ein politisches Programm veröffentlicht haben. Wieso wurde nur höchst selten eines ihrer Mitglieder gefangen genommen, so dass seine Aussagen der Öffentlichkeit hätten präsentiert werden können? Die überwiegende Mehrheit wurde „im Kampf getötet“. Faire Prozesse sind ausgeschlossen. All dies wirft Fragen auf, die in der herrschenden Berichterstattung keine Rolle zu spielen scheinen, weil sie die pauschalisierenden Klischees vom „Kampf der Kulturen“ in Frage stellen könnten.